0984 - Griff aus dem Dunkel
für die Grabsteine. Dazwischen gab es unterschiedlich breite Wege, sie durchschnitten das Gelände wie starre Arme.
Ich ließ meine Lampe noch stecken, weil ich nicht auf uns aufmerksam machen wollte. In der Finsternis war auch ein schwaches Licht weit zu sehen.
Die Stille war nicht gut. Zumindest nicht für Sheila, die noch nervöser wurde. Sie schaute auch immer wieder forschend in die Düsternis. Wir hatten uns für den breiten Weg entschlossen. Er war wohl der Weg, der den Friedhof in zwei Hälften trennte. Die Hauptachse.
Die Kreuze und Grabsteine blieben stumm. Selbst die Symbole des Christentums wirkten in der Nacht unheimlich und bedrohlich. Das erinnerte mich wieder an mein Kreuz. Es hatte sich nicht »gemeldet«. Es war keine Erwärmung zu spüren gewesen, doch darauf gab ich nichts, denn nicht immer spielte mein Kreuz eine Hauptrolle.
Großartig weitergekommen waren Sheila und ich bei unseren Ermittlungen nicht. Einiges wies darauf hin, daß es bei diesem Fall keine Lösung gab.
Sheila bewegte ihre Arme, als wollte sie etwas fangen. »Sie sind hier, John, ich spüre es. Sie müssen einfach hier auf dem Friedhof sein.« Sie reckte ihr Kinn nach vorn und wirkte fast wie ein Tier, das Witterung aufgenommen hatte.
Möglich war viel. Ich wollte nichts Falsches sagen und hielt mich mit einer Antwort zurück. Aber es gefiel mir immer weniger, durch die Dunkelheit zu laufen, ohne etwas zu sehen oder überhaupt die Chance zu haben, Spuren zu entdecken. Da mußte meine kleine Leuchte einfach Abhilfe schaffen.
Ich wollte sie hervorholen. Dazu kam es nicht mehr. Meine Hand blieb in der Tasche »kleben«. Ich selbst ging keinen Schritt mehr weiter, und auch Sheila war stehengeblieben.
Wir hatten etwas gehört.
Ein Lachen.
Kalt und böse hatte es geklungen, aber trotzdem wußten wir, wer da gelacht hatte.
Johnny Conolly!
***
»Wo ist er denn jetzt?«
»Keine Ahnung.«
»Aber er hat uns zugewinkt.«
»Habe ich auch gesehen.«
»War das wirklich Johnny?«
»Wer sonst?«
»Weiß nicht. Warum ist er dann nicht stehengeblieben? Oder siehst du ihn?«
»Nein.«
»Was machen wir?«
»Wir gehen weiter.«
»Da ist er nicht.«
»Den finden wir schon.«
»Ich glaube, der will uns reinlegen. Der hat irgend etwas vor, das spüre ich.«
»Sei doch kein Feigling, verdammt! Du stellst dich wirklich an wie eine Memme.«
»Ich habe keine Lust, was auf den Kopf zu kriegen. Johnny ist doch nicht mehr normal.«
»Das sind wir auch nicht, wenn wir in der Nacht über den scheiß Friedhof schleichen.«
Bill Conolly hatte mit offenem Mund zugehört. Nicht oft in seinem Leben war er dermaßen erstaunt gewesen wie in diesem Fall. Er konnte es nicht erklären, aber die Stimmen der beiden Jungen waren für ihn deutlich zu hören gewesen, obwohl sich die zwei nicht in seiner Nähe befanden, sondern in einem anderen Erdteil, in Europa.
Der Reporter wußte nicht, wie er und woran er denken sollte. Seine Gedanken schweiften ab. Sie drehten sich einzig und allein um die Stimmen, und tief in seinem Gehirnwinkel wurde ihm plötzlich bewußt, daß er die Stimmen kannte.
Aus London. Aus seinem Haus. Sie gehörten zwei Freunden seines Sohnes.
Johnny hatte die beiden schon öfter mit nach Hause gebracht, wobei Bill jetzt verzweifelt über die Namen nachdachte, die ihm nicht einfallen wollten.
Bis es dann »klick« machte.
Die Jungen hießen Tim und Mike. Beide gingen zusammen mit Johnny in eine Klasse.
Es war das wirklich Verrückte an dieser Lage, daß Dinge zu ihm hintransportiert wurden, die so weit entfernt waren. Rational konnte Bill es nicht verstehen. Um das zu akzeptieren, brauchte man schon einen gehörigen Schuß Phantasie und mußte sich mit Dingen auseinandersetzen, die jenseits des Begreifbaren lagen.
Die Stimmen waren verstummt. So bekam Bill Zeit, sich wieder um die Schamanin zu kümmern. Sie hatte ihre Lage nicht verändert. Der Mund stand offen, die Arme lagen wie zwei polierte Stöcke rechts und links an ihrem Körper. Das Gesicht war nach wie vor in das von der Decke herabfallende Licht getaucht, wobei die maskenhafte Starre überhaupt nicht gewichen war.
Nach wie vor wirkte es so ungewöhnlich hölzern mit einer wie glatt polierten Haut.
Was soll ich tun? fragte er sich.
Er war begierig darauf, zu erfahren, wie es weiterging. Der Astralleib dieser Person mußte all das mitbekommen haben, von dem der Mund gesprochen hatte. Er hatte also die Empfindungen zuerst in Gedanken und danach in Worte umsetzen
Weitere Kostenlose Bücher