0986 - In den Fängen der Nacht
Eindruck, als würde nicht alles so klappen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Jemand hatte sich dazwischengeschoben, als wollte er die Verbindung zwischen ihr und der Urzeit stören. Giselle kam damit nicht zurecht. Sie ging wieder zu ihrem Arbeitsplatz, setzte sich diesmal nicht hin, sondern blieb hinter dem Stuhl stehen, die Hände auf die Rückenlehne gestemmt, und dabei schaute sie auf den Bildschirm.
In ihr pulsierte es.
Sie spürte die Furcht.
Der Druck war da.
Etwas mußte sich immer weiter aufbauen, und auch ihr Gehirn reagierte. Die grauen Windungen zuckten stärker, als wollten sie ihr eine Warnung zuschicken.
Giselles Mund verzerrte sich. Sie schüttelte den Kopf. Dabei bewegte sich auch das Gehirn, aber es machte ihr nichts aus. Sie wollte erfahren, was sie störte.
Ein Feind!
Er war unterwegs zu ihr. Damit hatte sie rechnen müssen.
Nur ein Feind?
Sie fing an, darüber nachzudenken. Es waren mehrere Männer, die zu ihr kommen würden, da konnte sie nicht von einem Feind sprechen. Nur gab es wirklich einen unter ihnen, der etwas Besonderes war, vor dem sie sich in acht nehmen mußte.
Sie hatte schon Kontakt mit ihm gehabt. Nicht auf der normalen Ebene, sondern auf der anderen.
Eine Gestalt wie ein Engel. Jemand mit Flügeln, aber sehr dunkel und gefährlich aussehend. Mit einem Helm auf dem Kopf, dessen dunkle Vorderseite kaum einen Blick auf das Gesicht zuließ.
Jemand, der sich zwischen den Zeiten bewegte. Unheimlich war, Grenzen aufriß und dabei in Welten hineinhuschte, die für ihn nicht gemacht worden waren.
Er war unterwegs.
Mit einem Ruck zerrte Giselle den Stuhl zur Seite. Sie ließ sich auf die Sitzfläche fallen, starrte auf den Bildschirm, der wieder seine natürliche Farbe zeigte, und schien zu überlegen, welches Programm sie einschalten wollte.
Auf ihrem Kopf bewegte sich das graue Gehirn immer heftiger. Es war der Fluß der Spannung, der dafür sorgte. Giselle war erregt. Sie hatte große Mühe, ruhig zu bleiben, und sie spürte die Hitze des Feuers wieder. Plötzlich sah sie auch die Flammen. Für einen Moment huschten sie flach über ihre Hände hinweg, als wollten sie ihr ein Zeichen geben. Dann tauchten sie wieder ab.
Sie stöhnte auf. Die Entwicklung der Dinge gefiel ihr nicht. Bisher hatte sie auf ihre eigene Stärke vertraut und auf die Kraft aus der Urzeit.
Nun war es jemandem gelungen, in diese Phalanx einzubrechen und sich ihr zu nähern.
Der Gedanke daran ließ Giselle noch unruhiger werden. Auf dem Stuhl drehte sie sich, um ihr Büro zu durchforsten. Wer über soviel Kraft verfügte, wie dieser Feind, der würde es auch schaffen, ungesehen zu ihr zu gelangen.
Noch sah sie nichts.
Die Schatten blieben starr. Keine Bewegung.
Giselle stieß einen Fluch aus. Wieder schaltete sie auf Überwachung. Sofort erschien das Bild auf dem Monitor. Es war dunkler geworden. Dick wie Soße breitete sich die Dämmerung über dem Land aus. Weit entfernt schimmerte das Licht eines kleinen Leuchtturms, doch dieser helle Fleck am oberen Bildrand interessierte sie weniger. Ihre Augen durchforsteten den Bereich des Eingangs.
Sie sah ein Auto.
Es hatte gestoppt.
Ein fauchendes Geräusch verließ den Mund der Person. Die Augen blitzten in der wilden Vorfreude noch stärker auf. Das Zittern der Hände, die Hitze, die durch ihre Finger lief, alles deutete darauf hin, daß die endgültige Entscheidung nahte.
Die beiden vorderen Türen öffneten sich.
Zwei Männer stiegen aus.
Einer war blond, der andere dunkel: ein Asiate.
Das alles sah sie mit einem Blick und hätte sie auch zufrieden machen können, aber der Stachel des Gegenteils saß einfach zu tief und bohrte sich noch tiefer in sie hinein, als Giselle sah, daß keine dritte Person den Wagen verließ.
»Sie sind aber zu dritt!« schrie sie sich selbst zu und ballte ihre rechte Hand. »Verdammt, sie sind doch zu dritt!«
Es war keine dritte Person zu sehen. Niemand stieg mehr aus, und Giselle heulte vor Wut auf. Es war nur ein kurzer Schrei gewesen, ohne Echo, ein Gefühlsausbruch, und sie hatte sich schnell wieder gefangen. Starr blieb sie auf ihrem Stuhl hocken. Nur das aus dem Kopf gedrungene Gehirn bewegte sich. Das wäre auch passiert, wenn Giselle nicht gedacht hätte.
Aber sie dachte nach. Die dritte Person wollte ihr nicht aus dem Kopf. Sie glaubte einfach nicht daran, daß dieser Gegner von den anderen zurückgelassen worden war. Auch wenn er sich nicht zeigte, war er da, sicherlich, vielleicht ganz in der
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