0986 - In den Fängen der Nacht
Nähe.
In der Nähe?
Auch Giselle kannte Gefühle. Sie merkte, wie etwas eiskalt ihren Rücken hinabrann.
Dann stand sie auf. Langsam, beinahe erdrückt von der Spannung. Die Augen weit geöffnet, die wabernde Dunkelheit durchsuchend. Das Bild auf dem Schirm interessierte sie nicht. Es hatte sie bestimmt nur von etwas anderem ablenken sollen.
Giselle wußte auch wovor.
Der dritte Mann brauchte nicht draußen zu sein. Er war hier, in ihrer Nähe.
»Dann komm«, flüsterte sie. »Dann komm her…«
***
Ich hatte Suko vorgeschlagen, sich hinten in den Fond zu setzen, wo er sich dann auch hinlegen konnte, um seine Kondition zurückzufinden, denn nach diesem Schlag tat ihm eine Pause sicherlich gut.
Mein Freund hatte mich angeschaut wie jemand, der mir gleich an die Kehle springen wollte, und so hatte ich es gelassen und zugestimmt, daß er sich neben mich auf den Beifahrersitz setzte. Den Platz im Rückraum des Jeeps hielt Barry F. Bracht besetzt.
St. Peter Port mochte wirklich eine schöne Stadt sein, mit einem malerisch gelegenen Hafen, aber von dieser Schönheit bekamen wir nicht viel mit, denn ich hatte keine Augen für die Umgebung, sondern mußte mich auf die Straße konzentrieren, auf der wir nicht bleiben konnten. Der aufgezeichnete Weg führte uns weiter durch manch enge Gasse. Vorbei an gepflegten Häusern, die zwar klein waren, aber ein romantisches Zuhause boten.
Die Sommersaison war vorbei. Wer hier jetzt Urlaub machte, der wollte keinen Trubel haben und nur das frische Seeklima genießen. Oder er hielt sich geschäftlich auf Guernsey auf. Vielleicht war er auch ein Steuerflüchtling.
Ich ärgerte mich sonst bei diesem Thema, aber meine Gedanken konzentrierten sich nun auf etwas anderes. Die Kreaturen der Finsternis waren wichtiger.
Es mußte uns einfach gelingen, ihren Stützpunkt hier auf der Insel zu räumen. Mit Hilfe der verdammten Zeitschrift hatten sie schon eine zu große Verbreitung gehabt, und das konnte und wollte ich nicht akzeptieren.
Eigentlich war es mehr ein Zufall gewesen, daß wir sie überhaupt entdeckt hatten, und ich verfolgte diesen Gedanken auch weiter. Auf Guernsey hatten sie sich festgesetzt, um in die Medien zu kommen. Es war nur eine Möglichkeit von vielen, da es unzählige andere Möglichkeiten gab, an die ich gar nicht erst denken wollte, um keine grauen Haare zu bekommen.
Es mochte Sekten aller Art geben, aber diese Kreaturen der Finsternis waren gefährlicher als alle Sekten zusammen, denn sie waren kaum zu packen, weil sie sich nahezu perfekt tarnen konnten.
Der Name Giselle hatte sich in meinem Kopf festgebrannt. Ich wußte nun, daß wir es mit einer Frau zu tun hatten. Bei diesen Kreaturen war es egal, ob sie als Mann oder als Frau auf traten. Sie waren gleich gefährlich und darauf trainiert, die Saat des gestürzten Engels Luzifer in die Welt zu bringen.
Für alle Menschen lag die Urzeit sehr weit zurück. Wir aber wußten, daß dem nicht so war. Zeiten waren relativ, und sie konnten sich miteinander vermischen, ebenso wie die Vorgänge, die sich während dieser anderen Zeiten abgespielt hatten.
Nichts wurde vergessen. Nichts verschwand. Eigentlich blieb alles, nur eben in anderen Formen.
Doch darüber nachzudenken, war nicht die richtige Zeit.
Guernsey war eine hügelige Insel. Das erlebten wir auch auf unserer zweiten Fahrt. Wir verließen das abendliche Städtchen und fuhren hinaus in die Dämmerung.
Lichter funkelten zwischen den Häusern, erhellten Straßen und Gassen.
Ich hatte mir die Wegbeschreibung ans Armaturenbrett geklebt und warf hin und wieder einen Blick auf die Zeichnung. Suko saß stumm neben mir. Ab und zu strich er über seine geschwollene Nase.
Sie war nicht gebrochen. Einige Tage lang würde er ein wenig deformiert herumlaufen und sich auch den Spott anderer anhören müssen, immer vorausgesetzt, daß wir die folgenden Tage auch erlebten.
Der glatte Asphalt lag nur auf den Hauptstraßen. Die aber hatten wir verlassen und kurvten jetzt eine Anhöhe hoch, die der Hotelier sogar aufgemalt hatte. Wenn wir den Scheitelpunkt erreicht hatten, mußten wir nach Westen hin zur Küste abbiegen, wo nur wenige Häuser standen. Eines davon beherbergte die Redaktion der Zeitschrift Hades. Früher war in diesem Bau der fangfrische Fisch sortiert worden, doch heutzutage gab es nicht mehr so viele Fischer auf Guernsey. Die Fischbestände in der Nordsee waren stark geschrumpft.
Der Himmel war dunkler geworden. Riesige, graue Schatten bedeckten
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