0986 - Zeichen der Angst
angemessener wäre.
Erneut drehte sich der Meister des Übersinnlichen zu seinen Begleitern um und bemerkte nicht zum ersten Mal, dass Mysati äußerst angetan wirkte. Sie ließ die Finger fasziniert über den alten Fels gleiten und schaute sich mit großen Augen um, als sähe sie wesentlich mehr als nur verwittertes Gestein.
Ted hingegen wirkte unbehaglich.
Kein Wunder, dachte Zamorra. Immerhin war der blonde Hüne vor nicht allzu langer Zeit völlig verstört und ohne Erinnerungen hier unten aufgetaucht. Daher konnte ihm eine Rückkehr an diesen Ort nicht besonders angenehm sein. Zamorra wusste nach wie vor nicht genau, wie Ted damals hierhergelangt war. Er hatte die Aufnahmen der Sicherheitskamera überprüft, wie er es auch bei Carries plötzlichem Erscheinen getan hatte, doch in den Stunden vor und nach Teds Auf tauchen hatte es offenbar eine Fehlfunktion gegeben. Das Band zeigte nur grau-weiße zuckende Streifen.
Dass es genau zu diesem Zeitpunkt zu einem technischen Defekt gekommen war, gefiel Zamorra gar nicht. Er bezweifelte, dass es sich um einen Zufall handelte - immerhin hatte es bisher noch nie Probleme mit der Kamera gegeben, und auch nach Teds Auftauchen waren keine weiteren Störungen aufgetreten. Doch er konnte keinen Hinweis darauf finden, was dieses Problem verursacht hatte. .
Bei Carries Erscheinen hatte es keinerlei technische Störungen im Überwachungssystem gegeben. Doch obwohl er keine Beweise hatte, war sich Zamorra mittlerweile relativ sicher, dass Ted durch die Regenbogenblumen ins Château gelangt sein musste. Immerhin hatte er ihn ganz in der Nähe der Kolonie gefunden.
Doch Ted war offenbar nicht der Einzige, der an diesem Tag hindurchgekommen war. Die tiefen Krallenspuren, die Zamorra bei einer späteren Untersuchung der Katakomben im Boden gefunden hatte, deuteten darauf hin, dass unter Umständen noch etwas anderes versucht hatte, die Regenbogenblumen zu nutzen, um hierherzugelangen.
Etwas Böses, das Ted womöglich verfolgt hatte.
Unwillkürlich musste Zamorra an die schwarzen Regenbogenblumen denken, die Carrie in ihrem Garten in London gehabt hatte. Sie waren entartet gewesen, bösartig, pervertiert. Ob auch die Kolonie hier unten im Château durch das Böse beeinflusst worden war, das versucht hatte, hindurchzukommen?
Bisher hatten die Blumen normal gewirkt, aber Zamorra nahm sich vor, sie demnächst sicherheitshalber zu untersuchen. Außerdem war er ziemlich sicher, dass außer Ted tatsächlich noch etwas anderes hindurchgekommen war. Wie sonst sollten die geheimnisvollen Schriftzeichen, zu denen sie unterwegs waren, erschienen sein? Wer oder was hatte dafür gesorgt, dass die fremden Buchstaben und das augenlose Gesicht eine Wand in einem der Gewölbe zierten, die sich nur wenige Meter von der Regenbogenblumenkolonie entfernt befand? Die Schrift hätte überall auftauchen können, doch sie war in der Nähe der Stelle aufgetaucht, wo Ted aller Wahrscheinlichkeit nach auf der Flucht vor etwas unaussprechlich Schrecklichem - womöglich sogar vor der Angst selbst - durch die Regenbogenblumen gekommen war.
Ein verzücktes Jauchzen hinter ihm riss Zamorra aus seinen Gedanken. Mittlerweile hatten sie fast die Stelle erreicht, an der er Ted damals gefunden hatte. Der Meister des Übersinnlichen drehte sich um und sah, dass Mysati den Raum entdeckt hatte, in dem die Regenbogenblumen unter der Miniatursonne wuchsen.
»Seht nur!«, rief sie und Zamorra wunderte sich, dass eine Herrscherin, die im Verlauf ihres langen Lebens sicher schon viele magische und ungewöhnliche Dinge gesehen hatte, so begeistert auf den Anblick der Regenbogenblumen reagierte.
Nicht zum ersten Mal fiel ihm auf, dass Mysatis Launen sehr wechselhaft waren. Mal wirkte sie von ihrer neuen Umgebung verstört, dann wieder wie ein kleines Kind, das die Welt entdeckt, und dann plötzlich wie eine selbstbewusste junge Frau, die genau wusste, was sie wollte.
Diese unberechenbaren Gemütszustände mochten auf den radikalen Umgebungswechsel zurückzuführen sein, den sie hinter sich hatte, doch Zamorra vermutete, dass es eher in ihrer Natur lag. Ihr geistiger Zustand erschien ihm alles andere als stabil.
Vielleicht war sie einst völlig klar im Kopf, überlegte er. Doch dann hat ihr die Zeit in der Kuppel der Herrscher, die sie immerhin als Gefängnis bezeichnte, zugesetzt. Gewundert hätte es den Professor nicht. Er erinnerte sich noch gut an seinen eigenen kurzen Aufenthalt in der Kuppel und an die
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