0987 - Das Seelenloch
ängstliche Frau, auch jetzt verging sie nicht vor Angst, aber sie mußte schon überlegen, wie sie sich verhalten wollte, jetzt, wo sie doch dicht an der Quelle stand.
Bevor Jane das Fenster völlig öffnete, warf sie noch einen Blick nach draußen.
Sie konnte schräg auf die Straße sehen. Kein Auto bewegte sich um diese Zeit von einem zum anderen Ende des Ortes. Lech lag in einer dichten Finsternis begraben. Die Laternen, die ihr Licht abgaben, zählte die Detektivin nicht.
Jane öffnete das Fenster. Während die Finger der rechten Hand das Holz des Rahmens umfaßten, kam ihr plötzlich in den Sinn, daß dieses andere Geräusch durchaus direkt am Fenster seinen Ursprung gehabt haben konnte.
Jane suchte nicht nach irgendwelchen Kratzspuren, das fand sie plötzlich lächerlich, aber als sie das Fenster noch weiter aufzog, da schlug ihr Herz schon schneller.
Sie beugte sich nach draußen. Sehr vorsichtig, innerlich angespannt, wie eine Sehne.
Da hörte sie das Zischen.
Noch im selben Augenblick die schnellen Schritte. Das Kratzen der Sohlen auf der Erde, danach das leise Lachen.
Jane Collins zog sich nicht zurück. Gerade jetzt und auch sehr bewußt blieb sie in ihrer Position. Mit verdrehten Augen starrte sie nach unten und zugleich nach vorn.
Die Gestalt war da.
Sie stand direkt unter dem Fenster, hielt den Kopf erhoben und schaute zu Jane Collins hoch.
Gleichzeitig hörte Jane das leise, triumphierend klingende Kichern, und plötzlich wußte sie, daß der Urlaub eine für sie nicht eben positive Wendung genommen hatte…
***
Es ging ihr in diesen Sekunden kein Licht auf, sie bekam auch keinen Durchblick, ihr war nur plötzlich klar, daß sich die Dinge verschoben hatten.
Und das lag einzig und allein an der Gestalt, die sich unter dem Fenster gegen die Hauswand drückte und zu Jane hochschaute.
Es war eine Frau.
Nicht gerade ein junges Mädchen, aber auch nicht alt. Ungefähr zwischen zwanzig und fünfundzwanzig. Jane kannte ihren Namen. Sie hieß Karin und war die Bedienung aus dem Hotel. Immer adrett, immer nett, immer in einem netten Dirndl, hinzu mit einem natürlichen und freundlichen Lächeln.
Jetzt nicht mehr. Das Gesicht war starr geworden. So weiß oder bleich. Die Brille trug Karin nicht mehr, deshalb sah sie ein wenig fremd aus, aber die dunklen Haare waren noch immer vorhanden.
Sie waren lockig und hingen bis in den Nacken.
»Sie?« fragte Jane flüsternd, als sie die Sprache wiedergefunden hatte. »Das ist…«
»Nicht Sie, Jane«, gab die andere zurück und streckte ihr den rechten Zeigefinger entgegen, »sondern du…«
»Wie meinen Sie das?«
Karin kicherte. »Wir sind so etwas wie Schwestern, Jane. Ja, wie Schwestern. Hast du das nicht gespürt? Ich habe es sofort gemerkt, als ich dich nur sah.«
»Was sollte ich denn gespürt haben?«
Karin ließ den Finger ausgestreckt. Sie deutete jetzt auf ihre Brust. »Dort, Jane, dort drinnen - da ist es!«
»Und was soll dort sein?«
»Das andere, das die meisten Menschen nicht haben, wir aber besitzen, Jane.«
Die Detektivin wußte natürlich, worauf Karin hinauswollte, aber sie stellte trotzdem die Frage und tat dabei sehr naiv. »Wovon sprichst du denn? Ich weiß nichts und…«
»Doch, doch, doch«, unterbrach die Bedienung sie. »Du mußt es wissen. Du willst es nur nicht zugeben.«
»Dann sag es endlich!«
Karin lächelte scharf zu ihr hoch. »Weißt du eigentlich, wie man mich hier in Lech nennt?«
»Nein.«
Sie kicherte. »Hexerl. Man nennt mich Hexerl.«
»Und? Was habe ich damit zu tun?«
»Denk nach, meine Liebe. Das hat etwas zu bedeuten. Hexerl ist was Besonderes.«
»Viele werden als kleine Hexe bezeichnet.«
»Bei mir ist es echt.«
»Das heißt, daß du hexen kannst?«
»Ja - und du kannst es auch.« Sie hob wieder den Finger wie eine Lehrerin, die einem Kind unbedingt etwas beibringen will. »Und du kannst es auch.«
»Da irrst du dich.«
Karin schüttelte heftig den Kopf. Ihre Haare wirbelten dabei in die Höhe. »Nein, kein Irrtum. Es ist auch kein Zufall, daß du gerade jetzt hier erschienen bist.«
Jane konnte sich das leise Lachen nicht verkneifen, obwohl sie sich nicht danach fühlte. »Jetzt mach mal einen Punkt, meine Liebe. Das kann ich nicht akzeptieren.«
»Warum nicht?«
»Es hat doch keinen Sinn, darüber zu spekulieren. Ich bin hier, um Urlaub zu machen.«
»Ja, ja!« zischte sie zu ihr hoch. »Du machst hier Urlaub, aber unter einer fremden Bestimmung.«
»Karin, du
Weitere Kostenlose Bücher