0987 - Das Seelenloch
war tot, aber es gab an ihm trotzdem etwas Besonderes, und deshalb war der Mann hier. Er sollte alles richten. Das »Hexerl« hatte volles Vertrauen zu ihm, und er würde es nicht enttäuschen.
Jetzt kam er sich vor wie jemand, der erst über den eigenen Schatten springen muß. Er schaffte es auch, denn er ging noch einen Schritt auf das Totenbett zu.
Aber er griff dabei nach links, denn dort stand ein kleiner Tisch. Die Finger der Linken fanden die helle Kerze mit einem Griff. Sie stand auf einem Teller. Bevor der Mann danach faßte, holte er ein Feuerzeug aus der Tiefe seiner linken Manteltasche, ließ die Flamme aufflackern und brachte sie behutsam an den Docht heran.
Das kleine Feuer tanzte für einen Moment. Dann bekam es die entsprechende Nahrung, umtanzte den Docht und sorgte für eine unheimliche Helligkeit, die das Totenzimmer auf ihre Art und Weise ausfüllte.
Da war nicht nur die Lichtquelle. Die Flamme gab auch Schatten ab. Sie hatten sehr schnell ihr Ziel gefunden und lagen hauchdünn und düster auf den Wänden, den Decken und erwischten auch das Gesicht und den Körper der Leiche.
Der Tote blieb tot und starr, auch wenn er im Licht dieser Schattentänze aussah, als würde er leben.
Aber das täuschte, und der einsame Mann ließ sich davon auch nicht beirren.
Wieder atmete er tief und schnaufend durch die Nase ein. Neben dem Tisch blieb er stehen. Er schaute dem Licht der Kerze nach, verfolgte auch die Schattentänze, die ebenfalls wie ein Teppich auf dem Boden lagen und sich dort verteilten.
Er war zufrieden. Bisher hatte alles gut geklappt, aber das Wichtigste lag noch vor ihm.
Aus dem Seelenloch über der Breitseite des Betts strömte auch weiterhin eine bestimmte Kälte. Der Mann fragte sich, ob sie natürlich war oder nicht, denn auf der anderen Seite kam sie ihm vor wie ein Gruß aus dem Jenseits.
Auf eine gewisse Art und Weise war der Eindringling auch gläubig, doch sein Glaube war mehr Aberglaube. Er hatte sich mehr mit den finsteren und düsteren Seiten des Glaubens beschäftigt. Mit dem Dunkel, der Strafe, der Verdammnis. Da war der Weg zum Aberglauben nicht mehr weit gewesen.
Auch sein Gesicht hatte sich durch die Schatten- und Lichtspiele verändert. Es wirkte so, als hätte er sich eine Maske übergestreift, damit seine eigentlichen Züge nicht erkannt werden konnten. Trotz der Kälte fing er an zu schwitzen, was auch auf seiner Haut zu sehen war, denn sie sah plötzlich aus, als wäre sie mit Öl eingerieben worden.
Seine Hand zitterte, die Beine bebten ebenfalls, als er sich dem Bett näherte. Den Tisch mit der Kerze hatte er zuvor näher an die Liegestatt herangeschoben, um alles genauer zu sehen. Er wollte das Gesicht anleuchten und auch einen Teil des Oberkörpers.
Er starrte in die Züge, über die sich die Schatten gelegt hatten. Seine Augen schimmerten, reflektierten das Licht der Flamme.
Das Gesicht des Toten sah schlimm aus. Kantig, verwüstet und natürlich starr. Ein eckiger Kopf, auf dem dunkles Haar wuchs, nicht völlig schwarz, sondern stellenweise grau, als hätten sich dort uralte Spinnweben verfangen.
Dicke Lippen zeichneten sich ebenfalls ab. Sie ähnelten alten, porösen Schläuchen. Das Kinn wirkte eckig. Die Haut schlaff wie altes Fett.
Und dann gab es noch die Augen.
Niemand hatte sie zugedrückt. Wie zwei kalte Perlen starrten sie in die Höhe, aber dem Eindringling kamen sie verdreht vor, als wäre der Tote dabei, gegen die Wand zu schauen und dort das Seelenloch zu beobachten, um herauszufinden, ob sich seine Seele bereits vom Körper gelöst hatte und durch dieses Loch verschwunden war.
Es war nicht groß. Viereckig. Wie ein übergroßer Brief in DIN-A4-Format. Aber breit und hoch genug, um die Seele nach draußen fahren zu lassen, damit sie nicht in einem geschlossenen Raum umherirrte.
Der Unheimliche nickte. Es war nicht das Nicken auf eine Frage, es sah so aus, als wollte er sich selbst damit bestätigen, denn er hatte alles so vorgefunden, wie es ihm beschrieben worden war.
Nichts konnte und durfte mehr schiefgehen.
Er näherte sich dem Totenbett, bis er es mit den Beinen berührte.
Dann erst war er zufrieden.
Der Mann beugte sich vor. Er schaute nach unten. Über das starre Leichengesicht tanzten Licht und Schatten der Kerze und sorgten darin für ein unheimliches Leben. Als würde das Gesicht im nächsten Augenblick erwachen.
Der Mann nickte.
Er wußte selbst nicht, warum er es getan hatte. Es war einfach über ihn gekommen, und
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