0996 - Die Grabkriecherin
recht.«
Mandy lächelte, bevor sie ins Schwärmen geriet. »Vampire sind toll. Sie sind so etwas Überirdisches, weißt du?«
»Nein.«
Das Mädchen ließ sich nicht aufhalten. »Einfach klasse. Mal etwas anderes. Ich vergleiche sie immer mit einem Engel. Sie sind nicht feinstofflich, aber sie haben etwas Besonderes an sich, das man nicht erklären kann. Sie bringen den Hauch der anderen Welt mit. Einer Welt der Macht und der Dunkelheit.«
Suko spürte den Druck der Erde immer stärker. Es fiel ihm auch schwer, Fragen zu stellen. Davon ließ er trotzdem nicht ab. Er wollte diese Mandy so lange wie möglich hinhalten und flüsterte ihr zu:
»Kennst du sie denn? Hast du die Vampire schon einmal erlebt? Hast du ihre Grausamkeit mitbekommen?«
Sie ging nicht darauf ein. Was ihr Kopfschütteln bedeuten sollte, wußte Suko nicht. »Wir wollen so werden wie sie, verstehst du? Deshalb sind wir hier.«
»Existieren auf dem Friedhof Vampire?«
»Eine Freundin«, flüsterte sie. »Es ist eine Freundin von uns. Die Grabkriecherin. Sie ist unser Geheimnis. Sie hat uns versprochen, uns in ihr Reich zu holen. Wir lieben sie. Wir tanzen mit ihr. Es ist einfach wundervoll.«
»Aber ich kenne sie nicht.«
»Das ist mir klar. Du wirst sie kennenlernen. Bald schon, und wir können zuschauen, wenn sie ihre Zähne in deinen Hals schlägt und auch dein Blut trinkt.«
»Und das eure hat sie nicht getrunken?«
»Noch nicht. Aber sie ist dabei. Sie war schon bei uns. Sie hat uns umarmt. Sie hat uns einen Vorgeschmack gegeben, und wir werden bald in ihr Reich eingehen, wenn wir eine bestimmte Aufgabe hinter uns gebracht haben.«
»Aufgabe? Habe ich richtig gehört?«
»Das hast du!«
»Was ist es denn?«
Mandy, die kniete, hatte ihre Hände auf die Oberschenkel gelegt. Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht wichtig für dich, Suko. Du brauchst es nicht zu wissen. Du kannst dich jetzt auf dein neues Leben vorbereiten. Es dauert nicht mehr lange, denn in dieser Zeit hat die Grabkriecherin bereits ihr Versteck verlassen. Sie ist in der Nähe, das spüre ich genau.«
Suko verzog das Gesicht, als hätte er bitteres Wasser getrunken. Ihm wäre es lieber gewesen, John Sinclair in seiner Nähe zu wissen. Davon aber konnte er nur träumen. Dabei mußte sich John einfach Gedanken oder Sorgen machen, denn die Rückmeldungen waren schließlich ausgeblieben. Und so groß war der Friedhof auch nicht.
Aber Suko sah und hörte nichts. Da auch Mandy schwieg, wurde die Stille über dem Friedhof nicht gestört.
Sukos Nase schwebte dicht über dem Boden. Er saugte den feuchten Geruch auf, der mit dem des Vampirs nichts zu tun hatte. Noch roch es nach Moder, nach altem Fleisch oder verfaultem Blut, so daß Suko auch weiterhin davon ausgehen konnte, den Blutsauger noch in seiner unmittelbaren Nähe zu sehen.
Aber Mandy dachte anders darüber. Ohne die Haltung zu verändern, drehte sie den Kopf. Sie saugte dabei sogar die Luft ein, und drehte den Kopf zurück, wo sie ihre Freunde wußte, die im Hintergrund geblieben waren und sich nicht eingemischt hatten. Suko hatte den Eindruck gewonnen, daß Mandy so etwas wie die Chefin dieser kleinen Gruppe war.
Sie schwang hoch. Das geschah sehr langsam. Dabei behielt sie Suko fest im Blick. »Wir brauchen nicht mehr viel zu reden. Es ist alles gesagt.« Dann legte sie den Kopf schief und lächelte Suko verloren und traurig an. »Du hast es gut«, erklärte sie ihm. »Du hast es wirklich am besten von uns allen.«
»Warum?«
»Weil du sie gleich sehen wirst, Suko. Ja, sie wird zu dir kommen und dich küssen. Wir aber müssen noch lange auf sie warten. Wir haben ihr versprochen, daß wir auch weiterhin für Nahrung sorgen werden, bis alles geregelt ist.«
Für Suko hatte auch Mandy weiterhin in Rätseln gesprochen. Er kam damit einfach nicht zurecht.
Aber er wußte auch, daß es keinen Sinn hatte, nachzufragen. Sie würde nur etwas sagen, wenn sie es wirklich wollte. Doch das war nicht der Fall.
Mandy war aufgestanden und hatte sich von Suko abgewandt. Er sah ihren Rücken. Der Mantel fiel lang nach unten. Er machte sie so schmal. Die gebeugte Haltung ließ sie trauernd aussehen. Passend zu einem Friedhof. Es fehlten nur noch die vergossenen Tränen, dann wäre alles perfekt gewesen.
Sie ging mit langsamen Schritten auf ihre Freunde zu. Dabei nickte sie. Für Suko hatte sie keinen Blick mehr, denn sie drehte nicht ein einziges Mal den Kopf.
Er steckte fest.
Der Lehm umkrallte ihn. Er spürte ihn
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