0996 - Die Grabkriecherin
Kräfte rissen ihn hoch. Er schlug noch mit den Armen um sich, ohne etwas erreichen zu können. Dann fühlte er sich wie von unsichtbaren Händen umklammert und wurde nach vorn gewuchtet.
Vorbei an den beiden Freunden.
Er flog durch das Loch der längst zerbrochenen Frontscheibe hinaus in die Kälte der Nacht - und prallte mit dem Kopf gegen den Nissan. Ein Todesflug! Die Halsschlagader wurde zerfetzt. Ihm konnte niemand mehr helfen.
Wie eine Puppe rollte der Tote zur Seite, überschlug sich noch und blieb auf dem Gehsteig liegen.
Beide Wagen waren ineinander verkeilt. Sie bewegten sich ebensowenig wie die zwei Grufties auf den Vordersitzen, die schlaff in den Gurten hingen.
Von ihnen würde keiner mehr fremdes Blut zu einer Vampirin schaffen…
***
Als wir in den Wagen steigen wollten, ging Mandy zu Suko, der ihr die hintere Tür an der Beifahrerseite bereits geöffnet hatte. Aber sie stieg noch nicht ein. Statt dessen umarmte sie meinen Freund und sprach davon, wie froh sie war, kein Opfer dieser Untoten geworden zu sein.
»Das Leben ist doch das höchste Gut«, sagte sie.
»Darauf kannst du dich verlassen.«
Mandy wischte über ihre Augen, bevor sie einstieg und die Tür zuzerrte. Wir hatten von ihr erfahren, daß der gestohlene Wagen ein Fiat Croma war. Auf keinen Fall wollten wir, daß noch in dieser Nacht irgendwelcher Unsinn gemacht wurde. Die drei Grufties durften nicht an das Blut herankommen. Deshalb verfiel Suko in eine hektische Telefoniererei, während ich den Rover lenkte.
Er gab eine Fahndung durch. Er wollte auch dafür sorgen, daß sich Polizisten in der Nähe des Hauses aufhielten, in dem die Heilerin Marcia einmal gelebt hatte. Das alles war nicht nötig, denn die Kollegen am anderen Ende der Leitung hatten mehr Informationen bekommen als wir.
»Sagen Sie das noch mal!«
Sukos Stimme hatte mich aufgeschreckt. Ich schaute nach links, wo er leicht geduckt saß und unruhig die Finger bewegte, die er nicht zum Halten des Hörers brauchte. »Und Sie sind sicher, daß es der Wagen mit den drei Leuten ist?«
»Völlig.« Die Antwort hörte selbst ich.
»Gut, dann danke ich Ihnen.« Suko legte auf. Bevor ich nachfragen konnte, hielt er bereits die Antwort parat. »Wir brauchen Sie nicht mehr zu suchen. Die drei hatten es zu eilig und haben auch nicht mit Glatteis gerechnet. Sie sind verunglückt.«
Hinter uns schrie Mandy auf. Ich preßte für einen Moment die Lippen zusammen.
»Sind sie schwer verletzt?« schrie Mandy.
»Ja, es scheint so. Einer ist tot.« Suko drehte ihr den Kopf zu. »Es tut mir leid…«
Mandy stand kurz vor dem Zusammenbruch. Sie schien nicht zu begreifen, welches Glück sie gehabt hatte. Die Person, die aussah wie eine Kranke auf Urlaub, schluchzte wie ein kleiner Hund und schlug die Hände vor ihr Gesicht. Wir ließen sie weinen. Es tat ihr sicherlich gut. Vielleicht sah sie auch ein, in welch eine Lage sie sich hineingeritten hatte, und daß es kein Kinderspiel war, sich mit irgendwelchen Blutsaugern abzugeben.
Der Unfall war uns eine Warnung gewesen. Auf keinen Fall wollte ich zu schnell fahren. Mochte es noch so dringend sein, das Ziel zu erreichen, die eigene Sicherheit durfte auf den glatten Straßen nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Ein Wetter, das verrückt spielte. Mal kalt, dann wieder warm. Mal Regen, mal Schnee. Es kam die Zeit, wo Mandy sich beruhigte. Suko kümmerte sich um sie. Er machte ihr klar, wie groß ihr Glück gewesen war, daß sie zu uns in den Wagen gestiegen war. »Ich würde das an deiner Stelle als gutes Omen ansehen.«
»Wieso?« fragte sie tonlos.
»Es ist nicht gut, wenn man sich in Dinge einmischt, die lieber nicht geweckt werden sollten.«
Mandy gab keine Antwort. Sie schaute zu Boden. Nach einer Weile sagte sie: »Wir waren eben anders.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, wir wollten eben den Kick haben. Wie das so ist. Die meisten führen doch ein beschissenes Leben, und das sollte bei uns nicht so sein. Verstehst du? Wir wollten mal anders sein und in die Tiefe gehen.«
»Die Grabtiefe?« Bei Sukos Frage hatten sich seine Lippen zu einem spöttischen Lächeln gekräuselt.
Mandy hatte die Ironie nicht verstanden. »Nein oder ja. Wir haben das Grab eben entdeckt.«
»Mit dieser Duna?«
»Ja.«
»Und wie?«
»Durch einen Zufall. Wir sahen sie über den Friedhof kriechen, über die Gräber. Sie kroch immer. Sie war eine richtige Grabkriecherin und eine Vampirin. Zuerst wollten wir es nicht glauben«, flüsterte sie, und
Weitere Kostenlose Bücher