0996 - Die Grabkriecherin
das immer bei diesen Wesen. Was später mit euch geschehen wäre, brauche ich dir wohl nicht zu sagen.«
Mandy senkte den Kopf. »Ja«, flüsterte sie, »das stimmt.«
Danach schwieg sie. Darüber war ich nicht böse, denn wir bewegten uns zwar in der Nähe des Ziels, aber das Haus mußte ich erst suchen. So genau hatte ich es nicht in Erinnerung. Suko war in diesem Fall kein guter Helfer, denn damals hatte ich die Sache allein durchgezogen.
Jetzt, um vier Uhr morgens, schlief London noch. Der Berufsverkehr würde erst später einsetzen, und auch in diesen Straßen lag noch die Stille der Nacht.
Es war schon selten, keinen Menschen in einer Riesenstadt wie dieser auf den Straßen zu sehen. Im Sommer war das bestimmt anders, aber die Kälte hielt die Leute zurück, und die wenigen Lichter wirkten hier in Bodennähe wie verlorene Sterne.
Mandy hatte meine leichte Unsicherheit bemerkt. »Ich kann auch nicht helfen«, sagte sie, »man hat mich nicht eingeweiht. Das hat alles Axel durchgezogen.«
»Wir werden es schon finden.«
Ich bog in die richtige Straße ein. Plötzlich wußte ich wieder Bescheid, da stand der zurückliegende Fall deutlich vor meinen Augen. Ich sah mich im Flur liegen. Das Blut sickerte aus der Wunde. Ich litt schwer unter der Verletzung, und meine damalige Todesangst war furchtbar gewesen.
Dann war Marcia Morano erschienen. Durch die heilenden Kräfte des Engelbluts hatte sich die Stichwunde sehr schnell wieder geschlossen, und ich hatte nicht mal irgendwelche Beeinträchtigungen oder Folgeschäden erlitten.
Ein wahres Wunder…
Leider nahmen mir die parkenden Autos an den beiden Straßenrändern die Sicht. Sie standen dort wie Abfall auf vier Rädern. Das Blech glänzte feucht und war an vielen Stellen mit einer dünnen Schicht aus Eis überzogen.
Ich ließ den Rover ausrollen und stellte ihn in der zweiten Reihe ab. »Hier ist es.«
»Du bist sicher?« fragte Suko.
»Hundertprozentig.«
»Gut. Wie machen wir es?«
»Ich werde hineingehen. Bleib du im Wagen bei Mandy.«
»Ist okay.«
Ich wußte, daß er gern mit hineingegangen wäre, aber das brachte nicht viel. Einer mußte Mandy das Gefühl einer gewissen Sicherheit geben.
Ich stand vor dem Haus. Es hatte sich nichts verändert. Leider war es auch hinter den Scheiben dunkel. Marcia hatte im Parterre gewohnt. Diese Wohnung war jetzt wieder belegt. Auf dem schmalen Klingelschild las ich den Namen Riordan.
Die Zeit war zwar nicht besonders christlich, aber ich hatte sie mir nicht aussuchen können. Ich klingelte einfach und wartete ab.
Eine Gegensprechanlage gab es nicht. Entweder würde man mir öffnen, oder es passierte nichts. Ein einsamer Radfahrer fuhr vorbei. Es war ein Zeitungsbote.
Die Tür wurde nicht geöffnet, dafür ein Fenster, hinter dem ein verschlafenes Männergesicht erschien. Der Mann hatte, das Fenster auch nur gekippt. Sein Oberkörper war mit einem blauen Trikothemd teilweise bedeckt. Das lange, blondgraue Haar war noch nicht gekämmt. Er schaute mich mißtrauisch an.
»Mein Name ist Sinclair, Scotland Yard.« Ich zeigte ihm meinen Ausweis. »Ich möchte Sie bitten, mir die Tür zu öffnen.«
»Wieso? Was habe ich mit dem Yard zu tun?«
»Sie nicht, Mr. Riordan. Es geht um ihren Keller.«
»Ach. Soll ich da was verborgen haben?«
»Nein, so ist das sicherlich nicht. Nicht Sie. Ich suche etwas, was Ihrer Vormieterin gehört hat.«
»Dieser komischen Hellseherin?«
»So ist es.«
»Da stehen noch einige Sachen. Wir hatten noch nicht die Zeit, sie wegzuräumen.«
»Wunderbar. Und diese Dinge interessieren mich.«
Riordan rieb durch sein Gesicht, knetete dabei die Haut und überlegte. Er nickte. »Warten Sie, ich mache Ihnen auf.«
Das Fenster wurde geschlossen, und mir fiel zunächst einmal ein Stein vom Herzen. Es hätte auch anders laufen können. Bevor ich wieder zur Haustür ging, übermittelte ich Mandy und Suko die Botschaft.
»Das ist ja ein erster Erfolg«, sagte mein Freund. »Ich drücke dir die Daumen.«
Mandy schwieg. Sie war in Gedanken versunken. Möglicherweise hatte sie gar nichts mitbekommen.
Ich ging zurück zum Haus. In der offenen Tür erschien Riordan. Er hatte nur einen grauen Bademantel übergestreift. Im Flurlicht sah ich die Bartschatten auf dem Gesicht und die müden Augen.
»Kann ich noch mal den Ausweis sehen?«
»Gern.«
Er betrachtete ihn genau und schüttelte dabei den Kopf. »Man kann ja nie wissen, wer sich da Einlaß verschaffen will in diesen beschissenen
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