1. Die Rinucci Brüder: Wenn golden die Sonne im Meer versinkt
will.“
„Das stimmt“, gab sie zu.
„Es ist völlig egal, ob ein Kind zehn … oder sieben Jahre alt ist.“ Er schien mehr mit sich selbst zu reden. „Es kommt einem unwirklich vor, weil so etwas gar nicht geschehen kann oder darf. Dennoch geschieht es. Alles, woran man geglaubt und woran man sich orientiert hat, ist plötzlich nicht mehr da. Es herrschen nur noch Leere und Chaos. Um sich mit der Wirklichkeit nicht auseinandersetzen zu müssen, flü chtet man sich in eine Scheinwelt und weigert sich, die Wahrheit zu glauben.“
„Ja, so stelle ich es mir auch vor“, erwiderte Evie .
„Es hilft jedoch nichts, die Scheinwelt bricht früh er oder später zusammen, und es wird immer schwieriger, sich selbst etwas vorzumachen“, fuhr er leise fort. „Ich habe alles getan, um meinem Sohn die Erfahrung zu ersparen, von seiner Mutter zurückgewiesen zu werden. In die Scheidung habe ich nicht eingewilligt, stattdessen bin ich in die Schweiz geflogen und habe Marks Mutter gebeten, zu uns zurückzukehren. O bwohl ich sie da schon gehasst habe, wäre ich Mark zuliebe bereit gewesen, wieder mit ihr zusammenzuleben. Sogar dieses Haus habe ich ihretwegen gekauft, es ist schöner und grö ßer als das andere. Sie hat eine schöne Umgebung und den Luxus geliebt, und ich dachte …“
„Sie haben gedacht, sie würde zurückkommen, wenn si e von noch mehr Luxus umgeben gewesen wäre?“, fragte Evie behutsam.
„Ja. Doch es hat sie nicht beeindruckt. Wir interessierten sie gar nicht mehr, nur ihr neuer Liebhaber war noch wichtig für sie. Schließlich sin d beide bei einem Autounfall gestorben. Da sie offiziell immer noch meine Frau war, musste ich mich in der Schweiz um die Beerdigung kümmern. Auf die Idee, sie hier bestatte n zu lassen, bin ich nicht gekommen.“ „Sie hätten Mark zuliebe so viele Zugeständnisse ge macht, dass Sie …?“
„Als seine Mutter noch lebte, war ich beinah zu allem bereit“, unterbrach er sie. „Aber nach ihrem Tod war sowieso alles egal.“
Was für ein seltsamer Mensch, einerseits ist er seh r empfindsam und großzügig, andererseits geradezu blind für das Offensichtliche, überlegte s ie verblüfft.
„Für Mark wäre es besser gewesen, Sie hätten sie hi er in der Nähe beerdigen lassen. So eine Grabstelle gibt einem das Gefühl, dem geliebten Men schen näher zu sein. Deshalb gibt es ja auch die Gräber“, versuchte sie zu erklären. „Für I hren Sohn ist der Verlust noch
schmerzlicher, weil Sie das Haus verkauft haben, in dem Sie alle zusammen gelebt haben und wo ihn vieles an seine Mutter erinnert hätte.
Was soll er machen, wenn er Trost braucht und etwas sucht, woran er sich festhalten kann und was Erinnerungen weckt, so schmerzlich sie auch sein mögen? Hier in diesem Haus herrschen nur Leere und Kälte. Mit wem kann er reden?“
„Mit Lily, mich will er sowieso nicht um sich haben. Wieso begreifen Sie das nicht, obwohl Sie für andere Dinge ein gutes Gespür zu haben sche inen?“
„Natürlich habe ich gespürt, dass Sie beide sich ni cht so nahestehen, wie man es erwarten könnte. Aber das lässt sich ändern. Wahrscheinlich verbringen Sie zu wenig Zeit mit dem Jungen“, gab Evie zu bedenken.
„Das stimmt. Aber ich leite ein Firmenimperium, das ich selbst aufgebaut habe. Erfolge stellen sich nicht von allein ein.“
„Sind Ihnen geschäftliche Erfolge wichtiger als Ihr Sohn?“
„Ich will nur das Beste für ihn“, fuhr er sie an.
„Offenbar haben Sie seltsame Vorstellungen davon, was für ihn das Beste ist.“
„Er soll ein sorgenfreies Leben haben und alles …“
„Ja, in seinem Zimmer habe ich gesehen, was das Ihrer Meinung nach bedeutet“, fiel sie ihm ins Wort. „Er besitzt den modernsten Computer mit allem erdenklichen Zubehör, eine supermoderne Digitalkamera und dergleichen mehr.“
„Okay, Sie glauben, mir komme es nur auf materielle Dinge an. Doch eins müsste auch Ihnen klar sein: Man kann sich auf Geld verlassen, es betrügt einen nicht.“
„Mit Geld hat man alles unter Kontrolle, das meinen Sie, oder?“
„Richtig“, antwortete er.
„Und genau das ist für Sie am wichtigsten, stimmt’s ?“ Evie sah ihn herausfordernd an. „Sie wollen alles kontrollieren.“
„Manchmal ist es wichtig, die Kontrolle zu haben. Vielleicht ist es sogar immer wichtig.“ „Auch über die Menschen, oder? Warum hat Ihre Frau Sie wirklich verlassen?“
„Weil sie noch mehr Geld haben wollte, nehme ich an“, erwiderte er zornig, ehe er
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