1. Die Rinucci Brüder: Wenn golden die Sonne im Meer versinkt
Schnappschüssen, auf denen auch sein Vater zu sehen war, wie er einen der jungen Hunde mit beiden Händen vor sein Gesicht hielt. Seine Miene wirkte dabei seltsam resigniert und sanft.
Es überraschte Evie, dass er mit den Hunden spielte . Sie hätte es ihm gar nicht zugetraut. Nachdenklich betrachtete sie sein Gesicht. Seine gerade Nase war etwas zu groß, und seine Züge waren nicht ganz regelmäßig. Wahrscheinlich fi nden ihn viele Frauen attraktiv, überlegte sie. Er war jedoch nicht der Typ Mann, zu dem sie sich hingezogen fühlte, denn er war zu ungeduldig, zu sehr von sich überzeugt und n icht bereit, anderen zuzuhören. Allerdings konnte sie sich gut vorstellen, interessante Streitgespräche mit ihm zu führen. Das war aber auch schon alles.
„Hallo!“, rief Mark plötzlich.
Sie schreckte aus den Gedanken auf und blickte ihn lächelnd an. In dem Moment drückte er auf den Auslöser seiner Kamera.
„Ich habe Sie erwischt“, stellte er zufrieden fest.
Während sie laut lachte, fotografierte er sie noch einmal.
„Passen Sie auf.“ Er öffnete die Rückseite der Kame ra und zog eine kleine Karte heraus, die er in den Computer steckte. Prompt erschienen die beiden Fotos von Evie auf dem Bildschirm.
„Das ist ja wirklich sehr leicht. Warum funktioniert das bei mir nicht?“ Als Mark sie nur lächelnd ansah, fügte sie hinzu: „Ich weiß, manche Menschen können es und manche nicht.“ Schließlich kopierte er die beiden Fotos auf eine S D-Karte und reichte sie Evie. „Stecken Sie die einfach in Ihren Computer, wenn Sie zu Hause sind.“
„Danke. Ich gebe dir die Karte in der Schule zurück .“
So hatte sie sich die Unterhaltung mit dem Jungen nicht vorgestellt. Sie hatte herausfinden wollen, was in ihm vorging. Doch ihr war auch klar, dass ihm momentan der
freundschaftliche Umgang mit ihr mehr half als jedes ernsthafte Gespräch.
„Wirst du mit deinem Vater Schwierigkeiten bekommen, weil du nach der Schule nicht nach Hause gekommen bist?“, fragte sie.
„Ach, eigentlich ist er ganz okay. Wenn er wütend w ird, tut es ihm nachher immer leid.“
„Besser wäre es, wenn er überhaupt nicht wütend wür de. Warum begreift er nicht, dass du unglücklich bist?“
Sekundenlang dachte er darüber nach. „Weil er auch unglücklich ist“, erklärte er dann. „Wegen deiner Mutter?“
„Wahrscheinlich. Aber so genau weiß ich das nicht. Er kann nicht darüber reden. Einmal habe ich mitbekommen, wie er und Mom sich gestritten haben. Sie hat gesagt, er habe irgendein dunkles Geheimnis, und wollte wissen, warum er nicht darüber sprechen könne. Er hat nur behauptet, dadurch würde sich nichts ändern, und is t aus dem Zimmer gegangen. Ich stand oben an der Treppe und habe geglaubt, er wäre zornig. Doch er war nur schrecklich traurig.“ „Hat er dich bemerkt?“
Mark schüttelte den Kopf. „Glücklicherweise nicht, sonst wäre er sicher fürchterlich wütend geworden. Er mag es nicht, wenn andere merken, wie er sich fühlt.“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Ich wünschte, ich könnte ihm helfe n.“
Überrascht sah sie ihn an. „Müsste er nicht dir hel fen?“
„Wir helfen uns gegenseitig. Zumindest wünsche ich mir das. Ich möchte so gern … Wenn er nur …“ Auf einmal standen ihm Tränen in den Augen.
Schweigend nahm Evie ihn in die Arme und ließ ihn s ich ausweinen.
„Es tut mir leid“, entschuldigte er sich schluchzen d.
„Das braucht es nicht. Es tut gut, mit jemandem zu reden und zu weinen, wenn man traurig ist.“
„Ich habe aber niemanden, der mir zuhört.“ Er schlu chzte immer noch. „Niemand versteht mich.“
Sie versuchte ihn zu trösten, indem sie ihn sanft h in und her wiegte.
Plötzlich hörte sie ein Geräusch und drehte sich um . Justin Dane stand an der Tür und betrachtete Evie und seinen Sohn so erstaunt, als traute er seinen Augen nicht. Genauso hatte er sie auch auf der Terrasse angeschaut, als sie üb er den Hund gelacht hatte.
Schweigend schüttelte sie den Kopf. Justin Dane beg riff, was sie meinte, und zog sich leise zurück.
Mark hatte nichts gemerkt. Er löste sich aus der Um armung, wischte sich die Tränen weg und lächelte zaghaft. „Es tut mir leid“, wiederholte er verlegen.
„Ach, das war wirklich nicht schlimm. Aber es ist schon spät. Willst du noch nicht ins Bett gehen?“
„Sagen Sie mir Gute Nacht, ehe Sie nach Hause fahren?“
„Ja, versprochen.“ Sie umarmte ihn noch einmal kurz und verließ dann
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