1. Die Rinucci Brüder: Wenn golden die Sonne im Meer versinkt
Ruggiero geärgert, weil er dich um Erlaubnis gebeten hat, mich mitnehmen zu dü rfen, und das habe ich an dir ausgelassen. Als Italiener ist er natürlich formell er und achtet mehr auf gute Umgangsformen. Das hatte ich vergessen.“
Als Justin sie auf den Nacken küsste, erbebte sie. Ihr kribbelte die Haut. „Kurz vor Beginn der Party solltest du so etwas nicht machen“, sagte sie leise.
„Du hast recht, es war keine gute Idee.“ Er seufzte . „Du solltest nur wissen, dass … Ach, egal. Gehen wir?“
„Du meinst, solange wir es noch schaffen?“
„Ja.“ Seine Stimme klang rau.
Der Abend wurde ein voller Erfolg. Alle möglichen e rlesenen Gerichte, vor allem neapolitanische Spezialitäten, wurden aufgetragen, und die herrlichen Kristallgläser wurden immer wieder mit den besten Weinen gefüllt. Hope ha tte nichts dem Zufall überlassen, und das war offenbar typisch für sie, wie Evie begriff. Aus dem hilflosen jungen Mädchen, dem man das Kind weggenommen hatte, war eine willensstarke und selbstbewusste Frau geworden, die Autorität und Macht ausstrahlte.
Als die weit über hundert Gäste eintrafen, stand Ho pe mit Justin und Mark an ihrer Seite in der Eingangshalle. Alle drei standen an diesem Abend im Mittelpunkt.
Nach dem Essen ergab sich für Evie die Gelegenheit, kurz mit Hope zu sprechen. „Danke für den wunderschönen Schmuck. Justin hat gesagt, er ha be dir gehört.“
„Ja. Toni hat ihn mir einmal geschenkt. Er ist damit einverstanden, dass er jetzt dir gehört. Du gehörst sowieso bald zur Familie, wie wir alle hoff en.“ Ohne Evies Antwort abzuwarten, eilte sie weiter.
Hope Rinucci hat deutlich zum Ausdruck gebracht, was sie erwartet oder sich wünscht, und damit ist für sie die Sache erledigt, überlegte Evi e belustigt.
„Du wirkst so verloren“, stellte plötzlich jemand h inter ihr auf Italienisch fest.
Sie drehte sich um und erblickte Primo. „Der Eindruck täuscht. Ich habe gerade mit Hope geredet.“
„Hat meine Mutter dir erzählt, was sie für dich pla nt?“, fragte er lächelnd.
„So etwas in der Art.“
„Ärgere dich nicht darüber, Evie. Sie hat ein gutes Herz und wünscht sich, dass alle so glücklich sind wie sie.“
„Das weiß ich. Ich ärgere mich auch nicht.“
Er reichte ihr die Hand. „Die Musik fängt an zu spi elen. Lass uns tanzen.“
„Du bist heute Abend die Attraktion“, sagte er beim Walzertanzen. „Alle Männer beneiden Justin um dich.“
„Ach, red keinen Unsinn“, erwiderte sie lächelnd. D och dann fiel ihr auf, dass er recht hatte: Die Männer warfen ihr bewundernde Blicke zu.
Plötzlich entdeckte sie Justin. Er kam auf sie zu, und sie dachte, er wollte mit ihr tanzen. Aber unvermittelt wandte er sich ab und forderte eine andere Frau auf.
„Primo, du darfst mit mir nicht mehr Italienisch sprechen“, erklärte Evie.
„Warum nicht?“, fragte er mit Unschuldsmiene.
„Weil sich Justin dann ausgeschlossen fühlt, wie du genau weißt.“
Er zuckte die Schultern. „Wieso sollte er sich ausgeschlossen fühlen? Er ist in unserer Familie herzlich aufgenommen worden, und heute Abend dreht sich alles nur um ihn.“
Erstaunt blickte sie ihn an. „Du magst ihn nicht, oder?“
„Weshalb überrascht dich das? Er ist ein schwierige r Mensch. Es ist nicht leicht, ihn zu mögen. Außerdem sind wir keine Brüder und nicht mit einander verwandt. Ich bin nicht der Sohn meiner Mutter, er hingegen ist es.“
Verbitterung schwang in seiner Stimme, und Evie wurde augenblicklich klar, was mit ihm los war. „Du bist eifersüchtig!“
„Natürlich. Wundert dich das? Glaubst du, nur Kinde r wären eifersüchtig und Erwachsene dürften solche Regungen nicht haben?“
„Zugegeben, die Gefühle, die man als Kind hatte, wi rd man auch als Erwachsener nicht los. Immer wieder beschäftigen sie einen in Gedanken und quälen einen.“
Nach kurzem Zögern nickte Primo und stellte mitfühl end fest: „Wahrscheinlich geht es Justin genauso.“
„Natürlich. Meinst du, er hätte nicht darunter geli tten, dass seine leibliche und seine Adoptivmutter ihn nicht gewollt haben? Du brauchst nicht eifersüchtig zu sein, dafür gibt es keinen Grund.“
„Gerade von dir hätte ich mehr Verständnis für uns Italiener erwartet, denn trotz meines englischen Vaters bin ich durch und durch Italiener. Wir sind nicht so kühl und zurückhaltend wie die Engländer. Für uns ist die Familie der Mitt elpunkt von allem und die Mutter der Mittelpunkt der
Weitere Kostenlose Bücher