1 - Schatten im Wasser
fanden sie nicht. Hier eine Bril e, dort ein aufgeweichtes Buch oder einen silbernen Becher. Die Strömung lief nach Norden, und die meisten ihrer über Bord gegangenen Habseligkeiten waren abgetrieben.
Immer noch rollten meterhohe Brecher unablässig über die Sandbarre, die den Point vom Bluff trennte.
Mrs. Robertson hatte die Arme um ihre weinenden Kinder gelegt. Sie war bleich, mit violetten Schatten unter den Augen und strähnigem Haar.
Mr. Robertson starrte angestrengt hinüber zum Point.
»Seht nur«, rief er jetzt erregt, zog ein zusammenschiebbares Fernrohr aus seiner nassen Jacke hervor und spähte auf den breiten Strand auf der anderen Seite, der sanft zum Wasser abfiel. Trotz der Entfernung konnte man erkennen, dass er von Gepäckstücken und Trümmerteilen der White Cloud übersät war.
»Was siehst du? Nun sag schon.« Mrs. Robertson zupfte aufgeregt an seinem Jackenärmel und mühte sich, auch etwas zu erkennen.
»Unser Gepäck sehe ich! Es ist beschädigt, der Inhalt wird von den Wellen wieder ins Meer hinausgezogen«, berichtete er. »Ich kann Kisten, Ochsenkarren, mehrere Pflüge und ein paar Möbelstücke erkennen, und ein Klavier. Es ist von der Brandung ans Ufer geschleudert worden und zerbrochen. Wem gehörte das?«, fragte er die Passagiere.
Eine ältere Dame meldete sich. Ihr faltiges Gesicht war von den Anstrengungen der Nacht gezeichnet, aber ihr Blick war ungetrübt. »Es war ein Flügel, er gehörte mir«, sagte sie mit unbewegter Miene. Sie hatte offensichtlich schon Schlimmeres in ihrem Leben verkraftet als den Verlust eines Musikinstruments.
»Und da schwimmt ein Pferd«, unterbrach sie Mr. Robertson in heller Aufregung.
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Höflich bat ihn der feine Herr, der in Kapstadt viel Aufsehen erregt hatte, als er das bildschöne Tier mit an Bord brachte, um das Fernrohr.
Angestrengt starrte er hindurch, wurde bleich, als er mit ansehen musste, wie sein wertvolles Rennpferd mit den Wellen kämpfte, aber nur das Wechselspiel seiner Miene zeigte seine innere Erregung, als es sicheren Boden erreichte, sich aber aufrappelte und in kopfloser Panik in den dichten Busch davon- preschte. »Wie dumm«, murmelte er mit britischer Untertrei-bung. »Der Hengst sollte der Grundstock meines zukünftigen Gestüts in Indien werden«, erklärte er den anderen und gab Timothy Robertson höflich dankend das Fernrohr zurück.
Al e starrten gebannt auf das Geschehen in der Ferne, konnten aber nur schwarze Punkte im goldgelben Sand erkennen, außer Catherine, die die Augenschärfe eines Falken besaß.
»Da kommen Leute aus dem Busch«, sagte sie.
Mr. Robertson hob sein Fernrohr und ließ es über den fernen Strand wandern. »Es sind einige Männer, unangenehm aussehende Kerle, muss ich sagen, sie torkeln, scheinen betrunken zu sein«, kommentierte er.
»Jetzt öffnen sie das Gepäck, verdammt, und wühlen es durch und nehmen Sachen heraus! He, lassen Sie das, das ist ja unerhört!«, brüllte er. Er fuhr herum zum Kapitän. »Sie plündern unser Gepäck, Kapitän, tun Sie etwas!«
Der Kapitän zuckte nur mit den Schultern. Er wirkte nicht sonderlich aufgeregt. »Das sind besoffene Matrosen, Herumtreiber, das übliche Hafengesindel. Was soll ich von hier aus denn machen?«
Dan de Vil iers rappelte sich grunzend von einem Felsen hoch und stapfte zu dem Kapitän hinüber. Er packte den Mann am Hemdkragen und zog ihn dicht an sich heran. Ihre Gesichter waren auf gleicher Höhe, aber der Schlangenfänger war breiter und muskulöser als der Seemann. »Sie werden etwas tun, damit wir nicht alles verlieren, was wir besitzen, haben Sie verstanden?«, sagte er leise, aber es klang gefährlicher als das Zischen einer giftigen Schlange. »Sie werden jetzt Hilfe holen, wie, ist mir völlig gleichgültig, und wenn Sie hinüberschwimmen, aber in Kürze wil ich hier Boote sehen, die uns sicher zum Point
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bringen. Ich habe mich doch klar ausgedrückt?« Er ließ abrupt los und stieß ihn zurück.
Der Kapitän strauchelte, lief puterrot an, hob die Fäuste und sprang auf den Schlangenfänger zu. Johann duckte sich, bereit, seinem Freund zur Seite zu stehen.
»Ich mach das schon«, grinste Dan böse und holte aus.
»Boote voraus, da kommen Rettungsboote«, brüllte einer der Matrosen, und Dan zog seine Faust zurück und blickte hinüber zum Point. »Na, gerade noch Glück gehabt, mein Lieber«, bemerkte er mit Bedauern zum Kapitän.
Tatsächlich umrundeten eben zwei Boote mit gehissten Segeln die Landzunge.
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