1 - Schatten im Wasser
wunderschönen, von einem dichten Mangrovengürtel umschlossenen Bucht. Sie maß etwa zweieinhalb Meilen im Durchmesser, Bäume wuchsen bis hinunter auf den Sand, ein kleiner Frachtsegler dümpelte vor Anker, mehrere Ruderboote waren auf den Strand gezogen. Kolonien von weißen Reihern nisteten im Grün kleiner Mangroveninseln, Schildkröten schwammen an der Wasseroberfläche, Delphine sprangen, eine dicht gedrängte Gruppe weißer Pelikane tauchte mit rhythmischem Nicken die großen Schnäbel ins Wasser und füllte die Kehlsäcke. Auf einem Sandinselchen zur linken Hand sonnte sich eine Gruppe Flusspferde. Hellgrünes Seegras verwandelte einen Teil der Bucht in eine
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Meereswiese, auf der rosarote Flamingos mit würdevollen Bewegungen nach Futter fischten.
Nach dem tobenden Inferno draußen auf See waren sie im Paradies gelandet.
Catherine war es, als schaute sie durch das falsche Ende eines Fernrohrs. Al es erschien unwirklich, sehr hell, und eine singende Stil e drückte auf ihre Ohren. Ihr war kalt, und immer noch atmete sie nur mit großer Anstrengung. Steif wie eine Marionette wandte sie ihren Kopf, sah die ersten Anzeichen menschlichen Lebens am Strand. Pfähle und Pflöcke im Sand, die hölzerne Hütte des Hafenmeisters, die, von Büschen fast verdeckt, auf einem niedrigen Hügel stand. Unmittelbar angrenzend erhob sich ein weiß verputztes Gebäude mit Schindeldach. Ein beleibter Mann in kurzer blauer Jacke und weißen Beinkleidern stand, die Arme auf dem Rücken verschränkt, auf einem erhöhten Holzdeck und beobachtete die Neuankömmlinge. Er strahlte robuste Autorität aus. Der Hafenmeister, vermutete sie.
Der Steuermann öffnete die Luke und befreite die im Laderaum zusammengepferchten Passagiere aus ihrem Verließ. Einer nach dem anderen kletterten sie ans Licht, auf ihren Gesichtern stand deutlich die Angst, die sie in dem stickigen, schwarzen Loch zwischen schreienden und weinenden Menschen ertragen hatten. Es stank nach Erbrochenem, und nicht wenige hatten frische blutunterlaufene Flecken und kleinere Verletzungen. Stumpf sah ihnen Catherine entgegen. Fragen schwirrten durcheinander, mitleidige Blicke streiften sie. Offenbar hatte man unter Deck mitbekommen, welche Tragödie sich oben abgespielt hatte. Sie wandte ihnen den Rücken zu. Es war ihr unmöglich, jetzt mit jemandem zu sprechen.
Ein Wachposten in rotem Rock marschierte, die Muskete mit aufgepflanztem Bajonett geschultert, vor einem Wachhäuschen auf und ab.
Er wurde von den Passagieren mit begeisterten Rufen begrüßt.
»Es lebe England«, rief ein Mann, trunken von der Tatsache, dass sie überlebt hatten und von dem lebenden Zeugnis ihrer eigenen Zivilisation begrüßt wurden.
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Ein paar Eingeborene schliefen im Buschschatten am Strand. Weiter südlich, am Rand eines Sumpfes entdeckte Catherine die glänzend braunen Rücken von grasenden Flusspferden. Das Boot wurde langsamer, die Matrosen zogen die Ruder ein, strichen das Segel, und dann klatschte der Anker ins Wasser. Etwa zweihundert Fuß vom Strand ankerten sie vor einem Gebäude. Es war aus Holz und stark verwittert. Das geteerte, lückenhafte Dach aus Yellow-Wood-Halbstämmen wirkte schäbig. Ein beleibter Mann in weißem Anzug, der seinen Manilastrohhut verwegen tief ins Gesicht gezogen hatte, erschien in der offenen Tür und brüllte mit schneidender Stimme Kommandos. Die dösenden Schwarzen erhoben sich träge und schlenderten gemächlich zum Strand.
Catherine nahm es wahr, aber alles schien auf einer anderen Bewusstseinsebene zu geschehen, es berührte sie nicht. Auch Johanns Tod war für sie keine Wirklichkeit. Die Dimension war zu groß. Es war nicht die große Liebe gewesen, dieser Zustand himmelhochjauchzender Verrücktheit, den Konstantin in ihr ausgelöst hatte, aber sie hatte ihn geachtet und gemocht. Er war so voller Lebenskraft und Aufrichtigkeit gewesen, und sie trauerte um ihn. Aber sie war ehrlich genug, vor sich selbst zuzugeben, dass sie auch um ihre verlorene Zukunft trauerte. Die Aussicht auf das Leben mit ihm war sehr angenehm gewesen.
Und seine Hände waren zärtlich, und seine Berührungen haben mich erregt. Ihre Hand flog zu ihrem Mund. Der Gedanke schockierte sie, war sie doch überzeugt, dass sie anders war als andere Frauen, dass ihr Körper ihr keine Falle stellen konnte. Wie konnte sie unter diesen Umständen an so etwas denken? Es war ihre Schuld, dass ihr Mann diesen qualvollen Tod hatte erleiden müssen. Sie sah ihn hilflos im Meer
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