Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
Geschickt den Wind nutzend und unterstützt durch vier Ruderer, steuerten sie schräg gegen die Wellen, schössen zwischen zwei Brechern hindurch und kamen um ein gutes Stück näher. Bei dem Anblick sprangen alle am Strand auf und stürzten an den Saum des Wassers.
    Gellende Rufe wie »Hierher« und »So beeilt euch doch« begleiteten sie, und eine Viertelstunde später ging das erste Boot längsseits. Die wüst aussehenden Männer in ihren flatternden, grob gewebten Hemden hoben ihre Ruder. »Kapitän«, salutierte der vorderste. »Wil kommen in Natal«, grüßte er dann die frierenden, übermüdeten Passagiere.
    »Du gehst ins erste Boot«, befahl Johann. »Ich komme mit dem zweiten nach, wenn Frauen und Kinder in Sicherheit sind.«

    »Nein«, sagte sie. »Ich werde dich doch nicht im Stich lassen. Wofür hältst du mich?«
    »Tu bitte, was ich dir sage, Liebling, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt zu streiten. Es muss sein.«
    Sie blinzelte nicht einmal. »Ich bleibe bei dir. Basta.«
    »Catherine ... um Himmels wil en!«
    »Es hat keinen Zweck, Liebling. Ich bleibe hier.« Sie lächelte sanft. Es amüsierte sie, wie verwirrt und hilflos ihr hünenhafter Mann dreinblickte.
    Dan hinter ihnen lachte heiser. »Sieh an, sieh an, der starke Johann hat seine Meisterin gefunden. Hier, hilf mir mal.« Mit Unterstützung seines Freundes hob er die Robertson-Kinder in
    221
    das wild tanzende Brandungsboot. Die Matrosen fingen die Kleinen auf. Die kräftigsten Männer erboten sich, den Frauen hinü- berzuhelfen, doch die meisten zogen es vor, selbst zum Schiff zu waten. Die Matrosen zogen sie dann auf ruppigste Art über die niedrige Reling. Zum Schluss folgten die Männer.
    Nur ein kleineres Gepäckstück wurde jeder Familie erlaubt. Proteste wurden laut, einige Frauen, deren Cockney-Akzent verriet, dass sie aus den unteren Bevölkerungsschichten stammten, schrien die fantasievollsten Beleidigungen, doch der Steuermann öffnete als Antwort nur die Luke in der Mitte des Boots und brüllte die Passagiere an, dort hinunterzuklettern.
    Einige widersetzten sich, besonders die Männer, und wurden grob die Stufen hinuntergestoßen.
    Die viktorianischen Damen, die wohl die Anwesenheit von Johann und Dan de Vil iers als Schutz betrachteten, weigerten sich kategorisch, dieses Boot zu nehmen. Der Steuermann spuckte knurrend seinen Zigarrenstummel über Bord, und nachdem der Kopf des letzten Passagiers unter Deck verschwunden war, schlug er die Luke zu. Das Protestgeschrei der Eingeschlossenen war deutlich zu vernehmen.
    »Ruhe da unten«, grölte der Steuermann, und seine Leute lachten.
    Das Segel wurde gehisst, die Männer nahmen ihre Ruder auf, das Boot drehte ab und wurde rasch von dem immer noch kräftig wehenden Südostwind hinüber zum Point und außer Sichtweite geblasen. Catherine bedauerte die armen Leute aus tiefstem Herzen, die in stinkender Finsternis eingeschlossen von jedem Brecher wie Spielzeuge durcheinander geworfen wurden. Nach der schlimmen Nacht würde ihnen das wohl den Rest geben.
    Johann hatte neues Treibholz auf die glimmenden Überreste des Feuers gehäuft. Die Flammen loderten alsbald, und die Zurückgebliebenen scharten sich dankbar darum. Es war nicht wirklich kalt, aber alle waren ausgehungert, durchnässt und am Ende ihrer seelischen Kräfte.
    Dann legte das zweite Boot an, und die Prozedur begann von neuem.
    Als Erstes mussten die zartbesaiteten Damen an Bord ge-222
    hen, und sie taten es unter lautem Zetern, wussten sie doch, was ihnen blühte. Mit nur um eine Handbreit gelüpften Röcken staksten sie steifbeinig wie Störche durch das knietiefe Wasser zum Brandungsboot und wurden von den breit grinsenden Matrosen an Bord gezogen. Der Steuermann, der ein Zwil ingsbruder des anderen Rohlings hätte sein können, stand an der geöffneten Luke und brüllte ihnen zu, dass sie sich schnellsten dort hinunterbegeben sollten. Die Fräulein richteten sich kerzengerade auf und stiegen mit stolz erhobenem Haupt in das schwarze Loch, dieselbe Haltung an den Tag legend, mit der die französischen Adligen sich dem Schafott ergaben. Die anderen Frauen folgten widerstandslos mit gesenkten Köpfen, ihre Männer mit verbissener Beherrschung.
    Die Steinachs und Dan waren die Letzten, die sich zum Schiff begaben.
    Johann warf dem Steuermann eine Münze hin, der ihm mit einem Nicken erlaubte, beide Reisetaschen mitzunehmen. Doch als auch sie in den Frachtraum hinabsteigen sollten, weigerte sich Catherine. Sie stand an

Weitere Kostenlose Bücher