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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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heiser, und als sie nickte, musste er seine vollkommen erstarrten Hände Finger für Finger vom Mast lösen. Catherine kam sich vor wie eine Holzpuppe, so steif waren ihre Muskeln. Schwankend richtete sie sich auf. Ihren schmerzenden Nacken massierend, sah sie sich um.
    Die White Cloud war ein Wrack. Der Mast war wenige Fuß über ihrem Kopf gebrochen und hatte sie nur knapp verfehlt. Ein Mann kniete daneben, versuchte vergeblich, den leblosen Kör-212
    per einer Frau von dem Gewicht des Hauptmasts zu befreien. Erst als Dan de Vil iers einige Männer zusammenrief, gelang es, ihn so weit anzuheben, dass der Mann die Frau hervorziehen konnte. Sie war tot. Er nahm sie in die Arme, wiegte sie wie ein kleines Kind und schluchzte sich sein Herz heraus. Die Frau war das einzige Todesopfer dieser Horrornacht.
    Erschüttert wandte sich Catherine ab und folgte Johann. Er stieg über die Überreste der abgerissenen Frachtraumluke und spähte in den dunklen Bauch des Schiffs.
    »Verdammt, wir haben ein Leck, wie's mir scheint, da unten schwimmen überall Gepäckteile.« Damit kletterte er über Masttrümmer und Taugewirr zu dem gähnenden Loch, wo vorher der Niedergang gewesen war.
    »Unsere Kabine ist noch nicht unter Wasser, ich muss runter, um zu retten, was zu retten ist«, sagte er und verschwand durch die geborstene Tür.
    »Johann«, schrie sie, fassungslos über seinen Leichtsinn, »sei vorsichtig, um Gottes wil en ...!« Angstvoll rufend folgte sie ihm, stolperte und fiel mit dem Kopf gegen eine Kante. Hastig richtete sie sich auf. Ihr wurde schwindelig, alles drehte sich um sie, und mit letzter Kraft stützte sie sich an einem Balken ab, fühlte sich als Sandkorn, das durch eine schwarze Welt wirbelt. Erst als ihr ein scharfer Geruch in die Nase stach, öffnete sie ihre Augen. Dan de Vil iers stand dicht vor ihr und beäugte sie mit fürsorglichem Blick. Seinen extravaganten Hut schien er verloren zu haben. »Al es in Ordnung, Catherine?«
    »Ja, es ist nichts. Ich hab mich nur gestoßen. Helfen Sie mir bitte, Mr. de Vil iers, Johann ist irgendwo unter Deck und versucht etwas von unserem Gepäck zu retten. Ich mache mir Sorgen um seine Sicherheit.«
    Aber anstatt loszurennen, lachte dieser nur gemütlich und spuckte seinen Kautabak über Bord. »Johann? Der kann sich selbst helfen. Der weiß genau, was er tut. Ihm wird nichts passieren. Sie bleiben schön hier und warten auf ihn. Außerdem heiße ich Dan. Mr. de Vil iers war mein Vater«, setzte er hinzu.
    Seine Reaktion beruhigte sie kaum, und sie ließ den Einstieg, durch den Johann verschwunden war, nicht aus den Augen. Zu 213
    ihrer unendlichen Erleichterung erschien sein Kopf nach kurzer Zeit in dem Loch, und gleich darauf stand er mit beiden Reisetaschen an Deck, das neue Gewehr hatte er unter den Arm geklemmt.
    »Gott sei Dank.« Sie rannte ihm entgegen. Mit Schrecken sah sie, dass er tropfnass war und das Wasser aus seinen Stiefeln lief. »Steht das Wasser schon so hoch?«, flüsterte sie.

    »Ja. Wir müssen zusehen, dass wir von Bord kommen.« Sein Gesicht war finster. »Ich hab versucht, in den Frachtraum zu gelangen, aber er wird durch Trümmer versperrt. Soweit ich sehen kann, ist er aufgerissen, und ein Großteil der Sachen schwimmt im Meer. Himmel und Hölle!
    Entschuldige, Catherine, aber es ist schlimm. Wenn es mir nicht gelingt, meine Werkzeuge, das Saatgut und die Vorräte herauszuholen, werden wir diesen Winter nicht säen können, und das ist eine Katastrophe. Verflucht!«, schrie er und trat gegen die lose Holzplanke, die gegen sein Schienbein geschlagen war.
    Catherine fuhr zusammen. Es war das erste laute Wort, das sie von ihm hörte. »Wir sind immerhin noch am Leben, und du hast unsere Reisetaschen gerettet, alles andere wird sich finden. Wir werden es schon schaffen.« Ihr nasses Kleid klebte auf ihrer bloßen Haut, und der Wind kühlte sie so stark, dass sie das Gefühl hatte, in Eiswasser gelandet zu sein.
    Stumm starrte er sie an. Sie schien das Ausmaß dieser apokalyptischen Vorstellung nicht zu begreifen. Aber, so wies er sich sofort selbst zurecht, wie sollte sie derartige Probleme auch verstehen? Sorglos war sie bisher durch die Welt gezogen, frei wie ein Vogel, ohne Wurzeln, ohne Verpflichtungen, musste sich nie Gedanken machen, ob am nächsten Tag noch etwas zu essen da sein würde. Sie hatte ein Leben gelebt, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun gehabt hatte. Das, was sie auf Inqaba erwartete, würde ihr so fremd erscheinen, als

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