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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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treiben, und bevor sie sich dagegen wehren konnte, sah sie die riesigen grauen Schatten hungriger Haie aus dem Nichts auftauchen, sah, wie sie ihn umkreisten, sah sie zuschnappen, hörte das Krachen seiner Knochen.
    Mit einem Aufschrei presste sie ihre Hände über die Ohren. Das quälende Bild verschwand. Hastig bekreuzigte sie sich und 227
    sprach mit geschlossenen Augen ein Gebet für sein Seelenheil. Es beruhigte sie nicht, sie fand in den Worten keinen Trost, aber es half ihr, ihre Gedanken zu ordnen. Warum war sie nur so stur gewesen? Johann könnte jetzt neben ihr sitzen, sie wären in Sicherheit. Mit dieser Schuld würde sie leben müssen. Schuld muss gesühnt werden, hatte ihr ein Missionar gesagt, sonst findet man seinen Seelenfrieden nie wieder. Das Leben hatte strahlend vor ihr gelegen, und jetzt sah sie nur Schwärze, und winterliche Einsamkeit kroch ihr in die Knochen wie damals, als sie erst ihre Mutter, dann Grandpere und später auch ihr Vater für immer verlassen hatten. Sie schwor sich, Inqaba weiterzuführen. Das war sie ihrem Mann schuldig, und das würde ihre Sühne sein. Außerdem blieb ihr außer dem Gouvernantendasein kaum eine andere Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Als seine Frau war sie wohl die rechtmäßige Erbin von Inqaba. In seiner Reisetasche, die sich unter der Ruderbank verklemmt hatte, war ihre Heiratsurkunde. Sie konnte es also beweisen. Aber sie hatte keine Ahnung, wie man eine Farm bewirtschaftete. Mit dieser Welt war sie noch nie in ihrem Leben in Berührung gekommen.
    In Europa wurde im Frühjahr gesät, aber Johann hatte erwähnt, dass er es im Winter machen müsste. Das Haus allein zu verwalten, traute sie sich zu, die Hausbediensteten würde sie schon in den Griff bekommen, aber für die Farm würde sie Hilfe brauchen. Als Erstes musste sie jemanden finden, der sie nach Inqaba bringen konnte, und dann jemanden, der ihr dort helfen würde. Dan de Vil iers wusste, wie sie auf die Farm gelangen konnte, und er würde ihr sicherlich helfen. Johann hatte seine Ochsen und den Wagen bei Freunden stehen, aber er hatte keinen Namen erwähnt, und Sicelo konnte sie auch nicht mehr fragen. Niemand auf Inqaba wusste von ihr. Wie würde sie, eine Frau, die obendrein keine blasse Ahnung von Ackerbau und Viehzucht hatte, aufgenommen werden?
    Auf einmal schwankte das Brandungsboot so stark, dass sie sich abstützen musste. Jemand hinter ihr keuchte, spuckte und hustete, als wäre er drauf und dran zu ertrinken. Dan de Vil iers 228

    Stimme dröhnte, und Tumult brach unter den Passagieren und Seeleuten aus. Mit größter Mühe stemmte sie sich auf die Füße und wandte sich um.
    Passagiere und Matrosen hingen in einer dichten Traube am Heck, schrien herum, lachten, riefen, erschienen ihr unerklärlich aufgeregt. Ihre Gesichter glänzten vor ungläubigem Staunen.
    »Macht mal Platz«, röhrte Dan und pflügte sich einen Weg durch die Leute, die zurückwichen und den Blick aufs Heck freigaben. Ein Mann saß da, er wandte ihr den Rücken zu. Seine Hose war aufgerissen und das ehemals weiße Baumwollhemd zerfetzt, Seewasser rann ihm aus den dunklen Haaren und verdünnte das Blut, das aus vielen kleinen Schnitten quoll. Er hielt seine Hände hoch, als seien sie verletzt. Die Finger waren zu Krallen gebogen und blau angelaufen. Hustend krümmte er sich zusammen, würgte, hustete wieder, als wollte er sich schier die Seele aus dem Leib husten. Dann wischte er sich mit dem Unterarm über den Mund, wand den Kopf, und sie sah sein Gesicht.
    Es traf sie wie ein Schlag, trieb ihr geradezu die Luft aus den Lungen.
    »Johann«, schrie sie, als sie wieder atmen konnte. »Johann!« Mit den Armen rudernd, drängte sie sich durch die Gasse, die die Passagiere für sie öffneten, und fiel vor ihm auf die Knie. »Johann«, flüsterte sie und legte ihren Kopf in seinen Schoß, spürte seine Arme um sich, die Wärme seiner Haut, das Pochen seines Herzens an ihrer Wange. Es war ein Moment reinster Seligkeit, der Erlösung von aller Schuld, Verheißung des Paradieses für immer. Ihr Herz zerbarst fast vor Glück. Lange Zeit saßen sie so. Als er sprach, war seine Stimme heiser und kaum hörbar, dauernd wurde er von krampfartigem Husten unterbrochen. So berichtete er, wie es ihm ergangen war, nachdem er über Bord gefallen war.
    Die Unterströmung hatte ihn sofort gepackt, tief heruntergezogen und so herumgewirbelt, dass er nicht mehr wusste, wo oben und unten war, und seine Lungen vor Luftmangel

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