1 - Schatten im Wasser
konnte doch nicht ernsthaft sagen, dass er niemanden hatte, der die Arbeit im Haus verrichtete? Ihr Gehirn weigerte sich, diese Möglichkeit zu erwägen. Es musste ein Missverständnis sein, sicherlich. Denn wie sollte ein Haushalt ohne Bedienstete funktionieren? Jemand musste schließlich dafür sorgen, dass das Haus sauber und ordentlich gehalten wurde und die Kleidung immer tipptopp war, und eine gute Köchin war unerlässlich für das Wohl der Herrschaft.
Natürlich war das ein Missverständnis. Sie schob das Problem weg.
Trotz ihrer Anstrengungen, Haltung zu bewahren, trotz Grandperes Ermahnungen fühlte sie sich in ihrer jetzigen Verfassung restlos überfordert. Es war einfach zu viel. Ihre Seele und ihr Körper waren gleichermaßen gefühllos geworden, selbst ihr Hinterteil schien wie betäubt, und mit hängendem Kopf ließ sie sich von Johann zum Hauseingang führen, in derselben dumpfen Verfassung wie ein Tier, das zur Schlachtbank gebracht wird.
Er drückte die eiserne Türklinke herunter, die Tür war nicht verschlossen, und er stieß sie weit auf. Mit Schwung hob er seine junge Frau hoch und trug sie über die Schwelle. Der Gang war dunkel, und mit dem Fuß schob er eine weitere Tür auf und setzte sie ab. »Da sind wir, mein Herz.«
Das Erste, was ihr auffiel, war der Geruch. Staubig süß, nach Gras und Bienenwachs und nicht ganz trockenem Holz. Würzig, nicht unangenehm.
Sie atmete tief ein. Die Wände waren weiß
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gekalkt, und der Fußboden war festgestampft und von seidigem Schimmer.
Ohne Zweifel das Ergebnis der Kuhdungpolitur. Spinnwebschleier blähten sich vor zwei rechteckigen, etwa drei mal vier Fuß messenden, glaslosen Fensterlöchern, das hereinströmende Abendlicht malte filigrane Muster auf Wände und Boden. Die Tür zwischen den Fenstern war geschlossen; sie führte offenbar nach draußen auf eine Veranda. Über Fenstern und Tür prangte das Fell eines ehemals prachtvollen, schwarzmähni- gen Löwen, sein Fell war schon etwas räudig, der Rachen mit dem altersgelben Gebiss aufgerissen, die Augenhöhlen starrten leer auf sie herunter.
»Der gedachte mich zu frühstücken«, stotterte Johann, sichtlich nervös.
»Ist ihm aber schlecht bekommen.« Verstohlen wischte er sich Schweißperlen von der Stirn, ließ seine junge Frau dabei keine Sekunde aus den Augen.
Langsam nahm sie ihren Hut ab, legte ihn auf den Tisch, der mit zwei geraden Stühlen das hauptsächliche Mobiliar darstellte, und schüttelte ihre Haare aus. Der feine Staub, der Tisch und Stühle bedeckte, wirbelte auf und tanzte in den Lichtstrahlen. Das Regal, das die rechte Wand einnahm, war bis auf eine dicke Staubschicht und zwei Bücher leer. Sonst entdeckte sie nur noch eine Kommode, die aus demselben goldschimmernden Holz gefertigt war wie Tisch und Stühle. »Ist das unsere Eingangshalle?« Sie stellte die Frage, obwohl sie die Antwort schon wusste, und als sie kam, fand sie ihre Befürchtung bestätigt.
»Eingangshalle? Nein, nein, das ist unser Wohnraum. Du musst dir gleich die Aussicht anschauen. Herrlich, sage ich dir. Herrlich!« Seine Freude war wie ein Felsen, den nichts verrücken konnte.
Sie nickte wortlos. Nichts von dem, was sie sah, löste irgendein Gefühl in ihr aus. Als wäre sie eine unbeteiligte Zuschauerin, nahm sie nüchtern Bestand von dem auf, was bis ans Ende ihres Lebens ihre Umgebung sein würde, verbat sich, es in Gedanken mit dem Bild zu vergleichen, das sie sich vom Salon von Inqaba gemacht hatte. Ein Schutzmechanismus bewahrte sie davor. Von dem fast leeren Regal wanderten ihre Augen weiter zur
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anderen Wand. Johann hatte sie geschmückt. Über der Kommode schlängelte sich eine zehn Fuß lange Pythonhaut im Kreis zweier enormer Stoßzähne, ein Bündel struppiger Elefantenschwänze hing am Schaft eines Zulukampfspeers. Einen Zulukampfstock mit schwerem Holzkopf und ein Panga, das Hackbeil der Zulus, hatte er gekreuzt angebracht wie die Waffen auf Wappenschilden.
»In der Kommode dort bewahre ich Besteck auf und was man so braucht.« Er wischte liebevoll über die staubige Oberfläche des Möbels und öffnete demonstrativ die Schubladen.
»0, und ich nahm schon an, wir müssten mit den Fingern essen«, bemerkte sie, meinte es sarkastisch, aber er fasste es als Scherz auf und lachte herzlich.
»Unser Geschirr steht in der Küche im Regal. Ich habe vor, in nächster Zeit einen Schrank dafür zu tischlern.«
Unter dem Rieddach leuchtete ein Büschel getrockneter, sattgelber
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