1 - Schatten im Wasser
musste einen Augenblick nachdenken. »Weit südlich, fast den halben Weg zum Kap. Warum?«
»Dort hat die Galeone, die von Alvaro de Vila Flor befehligt wurde, im Juni 1552 Schiffbruch erlitten«, erzählte sie, während sie weiterlas. »Sie segelten von Goa und hatten Mil ionen in Gold und Edelsteinen geladen, mehr als irgendein anderes Schiff vor ihnen seit der Entdeckung Indiens, und nur weil irgendein Geizkragen bei der Ausrüstung gespart hatte, brachen ihr Ruder, der Vormast und der Bugspriet. In kürzester Zeit schwappten mehr als fünfzehn Spannen Wasser im Bauch der Galeone.
Wie viel ist das?«
Johann spreizte seine Hand. »Der Abstand zwischen der Spitze meines kleinen Fingers bis zur Daumenspitze. Je nach Größe der Hand ungefähr ein Fuß. Fünfzehn Spannen bei gebrochenem Vormast und Ruder - da müsste das Schiff völlig manövrierunfähig gewesen sein.«
»Hm«, machte sie konzentriert. »Du hast Recht. Sie sind auf Felsen aufgelaufen, und von ihrer Galeone ist weniger übrig geblieben als von der White Cloud, nämlich außer Splittern nichts.«
Er sah hoch, spürte fast die Schläge der Wellen, die Messerschärfe der Felsspitzen. Tiefes Mitleid mit Kapitän de Vila Flor und seinen Leuten überkam ihn. »Wie viele Überlebende gab es?«
»Hundertzehn sind umgekommen, aber hundertachtzig Portugiesen und dreiundzwanzig Sklaven haben überlebt. Außer einigen Soldaten, unter ihnen Pantaleo da Lourengo, wurde auch die Familie von Dom Alvaro de Vila Flor, Donna Leonore und ihre Kinder, gerettet. Sie war eine Hocharistokratin, sicher über und über mit Schmuck behängt. Die Damen damals schleppten so ihr Vermögen stets mit sich herum.« Ihre Augen leuchteten. »Stell dir doch nur vor, ihr gehörte vermutlich der Ring, den ich jetzt trage.« Sie streckte ihre Hand vor und drehte und wendete sie, dass das Gold glänzte und die rosa Perlen schimmerten. »Vor vierhundert Jahren trug ihn diese Frau. Vielleicht war es ein Hochzeitsgeschenk ihres Mannes? Die Perlen sind exquisit, und damals waren sie sicher noch kostbarer als
484
heute. Ich stelle mir vor, er hat die Perlen von einer seiner Reisen nach Indien mitgebracht und ihr den Ring in Portugal anfertigen lassen. Oder gehörte er vor ihr einer steinreichen Ma- harani, und sie hat ihn dem schneidigen Kapitän für besondere Dienste geschenkt? Das gefällt mir am besten. Es ist so romantisch, findest du nicht?«
»Deine Fantasie ist bewundernswert«, schmunzelte Johann. »Für mich war das immer nur irgendein Ring, den ich im Flussbett gefunden habe. Der andere mit dem großen Smaragd, den man mir gestohlen hat, das war ein Schatz.«
Ihr Gesicht in den Händen vergraben, zauberte sie das Bild der Donna Leonora nach der Beschreibung des Chronisten vor ihr inneres Auge. Das Gewand der Aristokratin war grün, ein dunkles samtiges Grün, das die Juwelen am schönsten zur Geltung brachte, und golden in den aufspringenden Falten der Keulenärmel und dem Ausschnitteinsatz. Ein hoher, schmaler Spitzenkragen rahmte ihr Gesicht mit den aufgesteckten Haaren. Steckknöpfe aus Edelsteinen und Goldfiligran schwärmten wie schil ernde Käfer über den Stoff, und Ketten aus Gold, besetzt mit Rubinen und Smaragden, hingen in verschwenderischer Fülle um die zarte Gestalt.
Darüber trug sie eine Marlota, ein kaftanähnliches Überkleid aus schwerem schwarzem Samt, das weit war wie ein Mantel. Vermutlich hielt ein besonderes Schmuckstück ihren Spitzenkragen zusammen. Ein Kreuz vielleicht? Sie las weiter.
Kapitän de Vila Flor führte seine Leute nach Norden, sein Ziel war die portugiesische Kolonie an der Delagoa Bay. Dazu mussten sie Natal durchqueren.
»Hier muss ich ansetzen«, rief sie aufgeregt. »Ich muss herausbekommen, welchen Weg die de Vila Flors genommen haben, dann finde ich vielleicht den Platz, wo du das Gold gefunden hast.«
Johann lächelte über ihren Eifer und vermied es, darauf hinzuweisen, dass dieses Unterfangen aussichtsloser war, als eine Nadel in einem sehr großen Heuhaufen zu finden. Warum sollte er ihr das bisschen Spaß verderben? »An Land fingen ihre
485
Probleme doch sicher erst an. Das Gebiet war kaum besiedelt, woher sollten sie genügend Proviant für fünfhundert Leute bekommen?«, fragte er stattdessen.
»Ein paar Eingeborene gab es offenbar, aber nichts, was de Vila Flor ihnen bot, konnte sie dazu bewegen, sich auch nur von einer Kuh zu trennen ...« Sie wendete die Seite und vertiefte sich in die Geschichte.
»Donna de
Weitere Kostenlose Bücher