1 - Schatten im Wasser
Gelingen Ihrer Vorhaben. Kehren Sie gesund und mit reicher Beute zurück.
Nun habe ich noch eine Bitte. Meine Frau
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und ich würden Sie und Catherine sehr gerne zu unserem al jährlichen Sommerball einladen, den wir morgen geben werden. Sie wird dort junge Leute ihres Alters kennen lernen können, tanzen und unser - wenn ich das so frei sagen darf - viel gerühmtes Büfett genießen.« Er streifte Catherines hübsches, aber einfaches Tageskleid mit verstohlenem Blick. »Da ich annehme, dass Sie nicht mit Ballkleidung gereist sind«, bemerkte er taktvoll,
»schlage ich vor, dass sich Catherine in die kompetenten Hände meiner Frau begibt.«
Catherine hatte noch nie einen Ball besucht, die einzigen gesellschaftlichen Ereignisse ihres Lebens waren Zusammenkünfte ihres Vaters mit seinen Freunden gewesen, bei denen sie als Maskottchen geduldet wurde. Aufgeregt stand sie in der Mitte des Ankleidezimmers der Strassberg-Schwestern, während die Zofe einen überdimensionalen Bienenkorb aus Rosshaar heranschleppte.
»Heben Sie Ihre Arme, meine Liebe«, befahl Frau Strassberg, und gemeinsam mit der Zofe zwängte sie das Gebilde um Catherines schmale Mitte und befestigte es. »Es ist das Neueste in dieser Hinsicht«, erklärte Frau Strassberg mit sichtlichem Stolz. »Ihr Rock wird einen wunderbaren Schwung bekommen.«
Das Ungetüm saß fest auf Catherines Hüften, schien sie am Boden festzunageln, so schwer war es. Wie sollte sie nur damit tanzen? Sie zupfte unglücklich an den Bändern. Doch als ihr die Zofe das Korsett mit Dutzenden blinkender Metallösen und Stahlknöpfe hinhielt, stöhnte sie auf.
Noch nie hatte sie so ein Folterinstrument getragen, aber ihre liebenswürdige Gastgeberin winkte streng ab und zerrte das Monstrum fest.
»Mein liebes Kind, es ist ganz ausgeschlossen, dass Sie sich ohne Korsett auf dem Ball präsentieren. Sie sind schließlich kein Bauernmädchen, sondern die Baronesse le Roux. Halten Sie die Luft an, und ziehen Sie Ihren Bauch ein.«
Catherine musste sich fügen; sie glaubte ersticken zu müssen, als Frau Strassberg und die Zofe energisch den Fischbeinkäfig immer enger um ihren Oberkörper schnürten. Aber sie erntete von ihrer Gastgeberin nur helles Lachen. Verdrossen hielt
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Catherine stil , während Frau Strassberg an ihr herumzupfte und die drei spargeldünnen Schwestern schadenfroh kicherten.
*
In dem Kleid aus elfenbeinfarbenem Organdy, das eine der Strassberg-Töchter ihr geliehen hatte und das nicht weniger als achtzehn Volants aufwies und mit glänzenden Seidenbändern verziert war, stand sie am Abend des Balls neben ihrem Vater und dem Gastgeber und bestaunte den aufs Herrlichste mit weißen Rosen geschmückten Saal. Hunderte von Kerzenflammen tanzten tausendfach in den zahlreichen Spiegeln und gaben dem Saal etwas Kostbares. Hohe Glastüren auf der Südseite führten hinaus auf eine weite Terrasse. Durch die alten Kastanienbäume im Garten blitzten die Strahlen der untergehenden Sonne und übersäten das Parkett des Ballsaals mit funkelndem Lichtflitter.
Der Organdyrock knisterte leise, die Unterröcke raschelten bei jedem ihrer Schritte. Catherine erhaschte ihr Abbild in einem der großen Spiegel und drehte sich langsam. Kritisch betrachtete sie ihre nun überaus schmale Tail e und die hochgebundene Brust, verglich sich verstohlen mit den anderen jungen Mädchen und stellte fest, dass sie sich hübsch fand. Die Zofe hatte ihr Haar zu einem lockeren Knoten im Nacken zusammengenommen und Frau Strassberg zartrosa Röschen hineingesteckt.
Catherine entfaltete ihren Fächer, kokettierte mit ihrem eigenen, so ungewohnten Anblick, drehte sich hierhin und dorthin und bewunderte den eleganten Fall der duftigen Volants des Kleides, als die Gestalt eines befrackten jungen Mannes im Spiegel neben ihr erschien.
Nie würde sie diesen ersten Eindruck von ihm vergessen. Diese feurigen Augen, die schwarzen Haare, die weich und glänzend um sein Gesicht fielen. Dieser Mund. Das hinreißende Grübchen im Kinn. Im Spiegel verbeugte er sich vor ihr. Keltisch, dachte sie, als sie auf seinen dichten, schwarzen Haarschopf hinunterschaute. Sie hatte erst kürzlich über die Kelten und
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ihre Wanderungen gelesen und war fasziniert gewesen. Ein sinnliches Volk, diese Kelten.
Noch jetzt rieselte bei dieser Erinnerung jenes Gefühl über ihren Rücken, das noch kein Mann vorher in ihr hervorgerufen hatte, das so überaus beunruhigend war und doch so wunderbar und gänzlich
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