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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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tauchte eine lange Reihe Frauen aus dem Palmenhain am Ufer auf.
    Bis auf ihre Grasröcke waren sie nackt, und ihre schwarze Haut glänzte von Palmöl. Geschickt balancierten sie Bananenstauden, Körbe mit getrocknetem Fisch oder Palmnüssen auf ihren Köpfen. Junge Männer schleppten Bündel von kreischenden, flatternden, an den Füßen zusammengebundenen Hühnern zum abschüssigen Ufer und beluden den schmalen Einbaum, der im Schlamm auf die Flut wartete. Es war wohl Markttag in irgendeinem Dorf flussaufwärts.
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    Catherine rieb ihre Magengegend. Das unbehagliche Gefühl der vergangenen Nacht legte sich allmählich. Ihr Blick glitt in die Ferne. Leise summte sie ein paar Töne, die sich rasch zu einer Melodie verbanden, einer sinnlichen Weise im Dreivierteltakt, die ihr Herz schneller schlagen ließ und ihren ganzen Körper ergriff. Ihre Hand, die den Stift hielt, fiel in ihren Schoß. Die Wirklichkeit versank, sie vergaß die Sorge um ihren Vater, den Ärger mit dem Kapitän und die kranke Wilma. Ihre Gedanken flogen über den Kontinent nach Norden, zurück zu einem Abend im letzten Juni.

    *
Ihr Vater plante, sich in Wien mit seinem Freund und Verleger Salvatore Strassberg zu treffen, um ihn für sein neues Projekt, eine Forschungsreise in die Wälder am Kongo, zu interessieren. Er träumte von einem Standardwerk über die Verwandtschaft der Tierwelt der Tropen, ausgehend von der Vermutung, dass die Welt in grauer Vorzeit eine riesige Landmasse gewesen sein musste, die sich irgendwann geteilt hatte, wobei die Tiere einer Familie über alle Kontinente verstreut wurden.
    Doch ständig mangelte es ihm an Geld für seine Visionen, und er war auf Aufträge von seinem Verleger angewiesen. Die Erbschaft von Grandpere Jean steckte zum Teil im Haus der Familie vor den Toren Hamburgs, das ihm und seiner Schwester Adele gehörte und dessen Dach so löchrig war wie ein Sieb. Immer wieder forderte Adele Geld für Reparaturen, für neue Teppiche und neuerdings für die Beleuchtung des ganzen Hauses mit Petroleumlampen. Und so reichten seine Mittel nie aus, die Expeditionen ohne zusätzliche Gelder zu ermöglichen, aber das kümmerte Catherine wenig. Geld interessierte sie nicht. Solange sie ihn begleiten durfte und nicht bei der fürchterlichen Adele bleiben musste, war sie bereit, auf fast allen Komfort zu verzichten.
    An einem warmen Junitag im Jahr 1849 erreichten sie Wien. Die Vögel sangen, Jasmin- und Rosenduft parfümierten die war-51
    me Luft, die Damen trugen helle Kleider und Sonnenschirme, und die Herren zwirbelten unternehmungslustig ihre Schnurrbarte. Mit glänzenden Augen hatte sie das lebhafte Treiben in vollen Zügen genossen, freute sich, dass Wilma verhindert war. Sie sehnte ihren achtzehnten Geburtstag herbei. An dem Tag, so hatte ihr Vater es bestimmt, würde sie endlich von Wilmas Obhut befreit sein.
    In ihrem Hotel in Wien angekommen, ließ ihr Vater sich schnurstracks, noch bevor sie ausgepackt hatten, mit einem zweispännigen Fiaker zu seinem Freund kutschieren. Der Verleger lebte mit seiner Familie, seiner Frau und drei Töchtern, in einem opulenten Haus, das in einem wunderschönen, gepflegten Park lag. Salvatore Strassberg, ein imposant wirkender älterer Herr mit schlohweißen Haaren, wartete schon in der Bibliothek auf sie. Louis le Roux begrüßte ihn mit herzhaftem Handschlag.
    »Ich bin mir sicher, viele neue Spezies von Fischen, Vögeln und Reptilien dort entdecken zu können, die ich dann mit denen, die mir aus anderen Reisen bekannt sind, vergleichen kann. Auch hoffe ich, auf unbekannte Bantustämme zu treffen, ja vermutlich werde ich sogar authentisch über die Zwergwaldmenschen berichten können«, schwärmte er später beim Kaffee seinem alten Freund vor. »Ich werde mich weiter in den Dschungel wagen als dieser Livingstone. Ich werde meinen Fuß dorthin setzen, wo noch kein menschliches Wesen vorher gestanden hat.
    Welch ein Prestige wäre es doch für Sie und Ihr Haus, wenn Sie, lieber Freund, als Erster meinen Bericht als Buch veröffentlichen könnten, nicht wahr?« Er sprach mit weit ausholenden Armbewegungen und mitreißender Begeisterung. Zu seiner Tochter geneigt, flüsterte er hinter der Hand:
    »Dafür wird er einen netten Vorschuss herausrücken, wart's nur ab.«
    Tatsächlich zeigte sich Salvatore Strassberg außerordentlich interessiert, und strahlend reichten sie sich nach über einer Stunde die Hände.
    »So ist es nun abgemacht, lieber Louis, ich wünsche Ihnen ein gutes

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