1 - Schatten im Wasser
Kellner.
Margarethe, die älteste Tochter des Hauses, spitznasig und mausgrau wie ihre Schwestern, drängte sich währenddessen an sie heran. »Du solltest dich mehr zurückhalten«, raunte sie biestig. »Es schickt sich nicht für ein Mädchen, zu viel Wissen zu haben. Herren mögen das gar nicht.«
»Ja warum denn nicht?«, rief Catherine zutiefst erstaunt. »Mein Vater sagt immer, dem, der Wissen hat, gehört die Welt.«
»Pah, was wil st du denn damit? Du solltest dich nach einem Bräutigam umsehen, dann bist du versorgt. Aber sei gewarnt, der Herr Graf sucht eine Frau mit Geld, nicht eine, die sich ihr Ballkleid leihen muss.« Mit den letzten Worte steckte sie ihre mausige Nase in die Luft und rauschte mit einem nachdrücklichen Rascheln ihrer lila Taftröcke davon.
Catherine sah ihr entsetzt nach. Heiraten? Kürzlich, am Frühstückstisch, hatte ihr Vater nach vielem Räuspern und Brummen dieses Thema angeschnitten.
»Es ist langsam an der Zeit, dass du dich nach einem Ehemann umsiehst, mein Kind«, hatte er verkündet. »Ein Mann von Charakter mit Geld, möglichst mit Titel, das wäre das Beste für dich, dann ein paar Kinderchen ...«
»Aber Papa!« Mit diesem Aufschrei hatte sie die Tasse mit der heißen Schokolade so hart auf den Tisch gesetzt, dass sie überschwappte. »Es war doch abgemacht, dass ich dich zukünftig als deine Assistentin begleite, dass ich deine Entdeckungen in naturgetreuen Zeichnungen festhalten werde. Herr Strassberg selbst hat es doch vorgeschlagen, und Wilma hat meine Zeichenkünste verfeinert. In letzter Zeit lobt sie mich immer öfter.«
57
Ihr Vater nebelte sich heftig mit Pfeifenrauch ein, gab einen schroffen Kehllaut von sich, als hätte er sich verschluckt, dann schürzte er die Lippen.
Ein flüchtiger Blick unter schweren Lidern streifte sie. »Du brauchst eine feste Hand, jemanden, der die Zügel anzieht«, murmelte er und fuhr sich mit dem Zeigefinger in seinen steifen Kragen, der ihm plötzlich zu eng geworden war. Louis le Roux hasste Auseinandersetzungen, ganz besonders die mit seiner wil ensstarken Tochter. »Ich werde dich nicht ewig durchfuttern können, und deine Zeichnungen sind noch nicht so, dass ich sie gebrauchen könnte. Wilma ist nur zu höflich, dir die Wahrheit zu sagen.«
Catherine hatten seine Worte wie ein Keulenschlag getroffen, so sehr, dass sie den Nachsatz über ihre Zeichnungen nicht einmal hörte.
Unvermittelt hatte sie sich am Fenster eines düsteren Hauses stehen sehen, am Rockzipfel einen Haufen quarriger, rotznäsiger Kinder, und draußen, vor dem verschlossenen Fenster, erstreckte sich die Welt, die Sonne leuchtete, und in der Ferne zerfloss der weite Himmel in verheißungsvollem Schimmern.
Ein gewaltiger Schrecken durchfuhr sie, denn eine Ehe hatte nie zu ihren Zukunftsträumen gehört. Im Gegenteil. Viele Mädchen ihres Alters aus Adeles Nachbarschaft waren bereits verheiratet. Erst hatten sie ihre Figur verloren, dann ihr Aussehen und zum Schluss ihre Identität. Ihre Persönlichkeit wurde unter Windelbergen begraben, ihr Wissensdurst erlitt an den Klippen der Haushaltsführung Schiffbruch. Sie wandelten sich übergangslos von der höheren Tochter zur Ehefrau und Mutter. Der Mann wurde zum Maß ihrer Dinge. Mein Herr und Gebieter, so hatte auch Frau Strassberg erst vorhin von ihrem Mann gesprochen.
Automatisch folgte sie den Schritten ihres Tänzers. Heiraten? Bestimmt nicht, dachte sie, bestimmt noch lange nicht. Womöglich nie. Die Natur hat mir zwar einen weiblichen Körper gegeben, aber mein Verstand ist mehr der eines Mannes. Ich werde ein freies Leben führen, ungebunden sein, ich werde der Sonne folgen, durch die Welt reisen, Dinge entdecken, Menschen kennen lernen und alle Bücher lesen, die es gibt, und die von Papa mit meinen Zeichnungen il ustrieren. Ich werde also ein veri-58
tabler Blaustrumpf werden. Diese Gedanken beschäftigten sie die nächsten zehn Drehungen, und ein winziges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie sich ihr Leben ausmalte.
»Welche Gedanken verbergen sich hinter diesem entzückenden Lächeln?«, raunte Konstantin von Bernitt und drückte sie näher an sich, sodass sie das kühle Gold seines Siegelrings auf ihrem bloßen Rücken spürte.
Sie hob ihre Augen, lächelte wieder, senkte die Lider und schwieg, beobachtete dann vergnügt durch die Wimpern, in welche Verwirrung ihn das stürzte, und genoss ihre neu entdeckte Macht. Sie nahm sich vor, sie diesen Abend noch weidlich auszuprobieren.
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