1 - Schatten im Wasser
veranschaulichte die Dicke mit ausgebreiteten Armen. Angesichts Wilmas Zimperlichkeit übersetzte ihr Catherine die Geschichte nicht. Sie bereitete ihr selbst ein derart mulmiges Gefühl, dass sie vorzog, sie zu verdrängen, und tröstete sich damit, dass sie wohl die Zeichensprache des Fischers falsch verstanden hatte.
Aber das unangenehme Gefühl im Magen war geblieben, es breitete sich wie flüssige Säure in ihr aus. Ihr ganzes Denken wurde von der Sorge um ihren Vater beherrscht. Wie würde ihre Zukunft aussehen, sollte ihm tatsächlich etwas zugestoßen sein? Kaum war ihr dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, überfiel sie heiße Scham. Wie konnte sie nur!
Würde es doch nur Tag werden und die strahlende afrikanische Sonne die nächtlichen Gespenster vertreiben! Sie blickte nach Osten. Der Himmel über dem Wald zeigte bereits jenes durchsichtige Türkis, das die aufgehende Sonne ankündigte. In wenigen Minuten würde es hell sein.
Zwei elegante Seidenreiher strichen mit heiseren Schreien über die spiegelnde Oberfläche des Stroms, und als die ersten Strahlen ihr Gefieder vergoldeten, atmete sie auf, spürte schon jetzt, wie ihre schwarzen Gedanken in der Verheißung des Lichts zerflossen.
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Ihrem Vater ging es gut, ganz sicherlich, ihm war noch nie etwas passiert. Vermutlich hatte er wieder irgendein Tier entdeckt, das noch nie ein Mensch vor ihm zu Gesicht bekommen hatte, und dabei in seiner Faszination die Zeit vergessen. Außerdem hatte er seine Pistole, und César wachte über ihn, wenn er sich in seinem Eifer ohne Rücksicht auf Schlangen und mörderische Moskitos durchs Unterholz schlug. Sie lächelte in sich hinein. Manchmal bezweifelte sie, dass ihr Vater überhaupt irgendein Wesen wahrnahm, das nicht unter ein Mikroskop passte und mindestens sechs Beine besaß.
Schwere Schritte lärmten den Niedergang hoch. Sie wandte sich halb um. Es war der Kapitän. Sein Blick war finster, die Augäpfel waren gelb verfärbt und von roten Adern durchzogen. Außerdem roch er stark nach bil igem Tabak und altem Schweiß. Angewidert kräuselte sie ihre Nase.
Bereits in Hamburg hatte sie ihren Vater gebeten, ein anderes Schiff zu nehmen, doch er bestand darauf, dass er gerade diesen Mann brauchte, der die Kongomündung wie kein zweiter kannte. Basta. Catherine fügte sich, und so hatten sie die Carina bestiegen.
»Guten Morgen, Baronesse, ich sehe, Sie halten wieder Ausschau nach Ihrem Herrn Papa«, dröhnte der Kapitän, sich hastig die dunkelblaue Jacke über seinem ausladenden Bauch zuknöpfend. »Nun wird es wirklich höchste Zeit, dass er zurückkehrt, nicht wahr? Ich muss sagen, ich hege die Befürchtung, dass ihm etwas passiert ist, und ich kann auf keinen Fal länger warten.« Er befingerte die hochgezwirbelten Enden seines gewaltigen Backenbarts, die er hinter die Ohren gehakt hatte.
Sie fand, dass die Geste etwas Defensives an sich hatte. »Nun, wir haben ja schon darüber geredet, Kapitän, und Sie kennen ihn ja, er wird sich kaum von seinen geliebten Krabbeltieren losreißen können. Sie müssen warten!« Demonstrativ wandte sie ihm den Rücken zu. Ihre ständig steigende Angst behielt sie für sich, als würde sie, in Worte gefasst, erst recht von ihr Besitz ergreifen. Erleichtert hörte sie kurz darauf die Luke am Niedergang klappen. Sie war wieder allein.
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KAPITEL 2
Die Sonne stieg rasch hinter den schwarzen Umrissen des Urwaldes hoch, und die Schatten der Nacht lösten sich auf. Das Flussufer glühte smaragdgrün, und aus den düsteren Mang- roven, deren bleiche Luftwurzeln jetzt bei Ebbe aus dem Schlick ragten, wurde eine Reihe von Damen, die ihre grünen Röcke geschürzt und die blassen, langen Beine entblößt hatten. Schwatzend wiegten sie sich im Morgenwind, raschelten mit ihren Kronen, tauschten Klatsch und Neuigkeiten aus. Flinke Krabben huschten zwischen ihren Füßen, kleine Vögel wippten auf den Zweigen.
Rhythmisches Stampfen hallte vom Ufer herüber. Die Einge-borenenfrauen zerkleinerten Maniok für ihre Abendmahlzeit. Es war eins der vertrautesten Geräusche im Urwald und zeigte Catherine, dass sie nicht mehr al ein war. Es wurde Tag an der Mündung des Kongos, und die Geister flohen das Licht. Das Gewicht der Nacht auf ihren Schultern wurde leichter. Sie wandte sich ab und ging in ihre Kabine. Es war Zeit zu frühstücken, obwohl sie keinen Appetit verspürte. Als sie die Kabinentür öffnete, fiel ihr Blick auf ihre Reisetasche. Sie wischte den grünlichen
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