1 - Schatten im Wasser
unerwartet. Die Männer, die ihr bisher begegnet waren, waren meist alt gewesen und interessierten sich offenbar ausschließlich für Wesen, die sie unter einem Mikroskop betrachten konnten, oder es waren die Mannschaften der Segelschiffe gewesen, krude, primitive Kerle, die sie immer abgestoßen hatten, umso mehr, nachdem sie die Bedeutung einiger ihrer Gesten in den Büchern ihres Vaters gefunden hatte.
Langsam, wie hypnotisiert, wandte sie sich um und sah ihm ins Gesicht.
»Herr Strassberg, haben Sie die Güte, uns bekannt zu machen«, bat der junge Mann, ohne den Blick von ihr zu lassen, und Salvatore Strassberg stellte ihn als Graf Konstantin von Ber- nitt vor, der aus Bayern stammte und sich jetzt in Wien umsah.
Formvollendet verbeugte sich der Graf vor ihr, hob ihre Hand zu seinen Lippen, und sie erhielt den ersten Handkuss ihres Lebens. Ehe sie sich von dieser erregenden Berührung erholt hatte, bat er ihren Vater artig um die Erlaubnis, sie zum Tanz führen zu dürfen. Nach einer eleganten Verbeugung, einem blitzenden Blick aus den magnetischen, dunklen Augen wirbelte er sie im flirrenden Kerzenlicht in einer schnellen Polka über das Parkett, und sie dankte Wilma insgeheim, dass sie ihr im Rahmen ihrer Erziehung ein paar Tanzschritte beigebracht hatte.
Der Abend, der dann folgte, war ein Potpourri von Musik, Farben, Düften und außerordentlichen Gefühlen. Besonders von Gefühlen. Selbst jetzt, bei dem bloßen Gedanken daran, überflutete sie Hitze. Es war nicht die des immer heißer werdenden, feuchten Tropentages, sondern eine, die aus ihrem Innersten stieg, ihre Haut rötete und ihre Augen fiebrig glänzen ließ.
Zum ersten Mal tanzte sie mit einem Mann, und die Empfindungen, die sie bedrängten, waren erschreckend und herrlich zugleich. Sein Griff war kräftig, sie spürte die harten Muskeln
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seiner Arme unter ihren Fingerspitzen, bewunderte seine breiten Schultern, die schmalen Hüften in dem elegant geschnittenen Frack. Er roch gut, nach teuren Zigarren, frischer Wäsche und herber Seife, ganz anders als die Matrosen, die meist nach Teer und Fisch stanken, und anders als ihr Vater, den häufig genug der faulige Geruch von Schwefelsäure umwehte. In der Pause brachte Konstantin ihr ein Glas Champagner und führte sie ans Fenster. Aufgeregt, glühend, nippte sie an dem ungewohnten Getränk, lauschte dabei hingerissen seinem Geplauder.
»Ich gedenke nach Afrika zu gehen«, erzählte er und berührte dabei die weiße Schleife aus Atlasseide, die er zum gesteiften Hemd und der Seidenweste trug. »Afrika! Stellen Sie sich das nur vor, Fräulein le Roux, Abenteuer, wilde Tiere, geheimnisvoller Dschungel, Berge voll mit Edelsteinen und so viel Gold, dass man den Stephansdom daraus bauen könnte«, schwärmte er, »und wussten Sie, dass es dort Menschen gibt, die nur kniehoch sind und in Vogelstimmen reden? Manche sollen sogar zwei Köpfe besitzen.« Er rollte mit den Augen, wie ein Erwachsener es tut, der einem Kind schaurige Märchen erzählt.
Catherine lachte und schüttelte ihren Kopf, dass der Nackenknoten wackelte. »Aber nein, Sie meinen doch sicher die Bam- buti, den Stamm der kleinen Waldmenschen, nicht wahr? Ich muss Sie hinsichtlich der Vogelstimmen und der zwei Köpfe korrigieren. Ihre Stimmen sind unbestreitbar menschlich, wenn auch sehr hoch, und jeder von ihnen hat nur einen Kopf.« Sie lachte wieder. »Wie wir.«
Er starrte sie sprachlos an. »Und woher weiß Mademoiselle das?«, rief er, als er seine Stimme wieder gefunden hatte. »Sie scheinen ein Blaustrumpf zu sein, mein Fräulein.«
»Ich war dort«, antwortete sie unbefangen und ließ ihren Fächer flattern, denn die Hitze der brennenden Kerzen vermischte sich mit dem betäubenden Duft der rasch welkenden Rosen. »Die Bambuti habe ich selbst noch nicht zu Gesicht bekommen, aber Mr. Irons, der Missionar, der mich aufnahm, bis mein Vater aus dem Urwald zurückkehrte, berichtete mir, dass er die Pygmäen mit eigenen Augen erblickt hätte. Es seien perfekte, winzi-56
ge Menschen, beschrieb er sie, mit einer Haut wie die Farbe von goldenem Elfenbein und Stimmen, so süß und hoch wie Flötenklänge.«
Selbstvergessen blickte sie in die wogende Menge der Tanzenden, bemerkte gar nicht, dass ihm erneut die Worte fehlten. Strahlend klatschte sie am Ende des Stücks den Musikern stürmischen Beifall. Schweigend bot Konstantin ihr seinen Arm und geleitete sie zurück in den Ballsaal. Er nahm ihr das Champagnerglas ab und gab es einem
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