1 - Schatten im Wasser
Johann kam sich klein vor.
Auf seinem aus einem gewaltigen Holzblock herausgearbeiteten Thronsitz wirkte Mpande wie ein polierter, schwarzer Monolith. Jedes Mal, wenn Johann ihn wieder sah, war der Monarch fetter und imposanter geworden, sein Gesicht jedoch war noch immer klar geschnitten und in gewisser Weise attraktiv. Er saß breitbeinig da, war bis auf Perlenschmuck um Hals und Lenden nackt und schaute gelangweilt seinen Tänzerinnen zu, die ihre langsamen Schritte mit einschläfernd gleichförmigem Gesang begleiteten. Im Hintergrund zerlegten mehrere Männer mit Pangas einen Elefanten, dessen tonnenförmiger Unterschenkel bereits in der Glut der riesigen Feuerstelle röstete.
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Der intensive Bratengeruch kitzelte Johann in der Nase, und er unterdrückte mit aller Wil enskraft ein Niesen. Niesen galt als Ausdruck von Stärke und Überlegenheit. Hier bin ich, hieß es, und ich bin stärker. In Gegenwart des Königs konnte es einem seiner Untertanen das Leben kosten. Er wollte nicht herausfinden, welche Konsequenzen es für ihn haben würde.
»Auf sein Handzeichen mussten wir auf dem Boden vor ihm Platz nehmen und unser Anliegen vorbringen. Johann schilderte die Vorfälle in aller Ausführlichkeit, beschrieb wie er die Leichen der Elfenbeindiebe vorgefunden hatte, und als er die eingeschlagenen Schädel erwähnte, verfinsterte sich die Miene des Königs aufs Bedrohlichste«, sagte Dan.
»Gerne, danke«, nickte er, als ihm Catherine noch eine dicke Scheibe von der Schweinekeule schnitt.
Sie nahm sich selbst vom Braten. »Warum hast du Khayi eigentlich freigelassen?«, fragte sie Johann und biss ins kernige Fleisch.
»Ich hätte Mpande beweisen müssen, dass der Häuptling meine Rinder stahl, so hat ihm dieser den Beweis durch seine Flucht selbst geliefert.
Außerdem wollte ich kein Blut an meinen Händen kleben haben.«
Sie hörte auf zu essen. »Und was passierte dann?«, fragte sie.
Johann führ fort. »König Mpande stützte sein Kinn in eine Hand und starrte uns unter gerunzelten Brauen mit einem Ausdruck an, der dem stärksten Mann die Knie weich hätte werden lassen, und sagte lange Zeit nichts. Dann rief er ein Indaba, seine Ratsversammlung, ein, und wir mussten unseren Fall noch einmal darlegen, während die Räte aufmerksam, ohne zu unterbrechen, zuhörten.
Der König schwieg und machte lediglich mit einer Geste verständlich, dass der erste der Räte seine Meinung sagen sollte. Der Mann, ein ergrauter Würdenträger, sprach, bezog aber nicht ausdrücklich Stellung, sondern drückte seine Meinung eher indirekt aus, immer mit einer verbalen Verbeugung vor dem König. Es ist ein ganz hervorragendes System, so hat keiner seiner Ratgeber Angst, seine eigene Meinung zu sagen. Als er al e Räte
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angehört hatte, beendete der König die Verhandlung. Schweigend musterte er uns mit scharfem Blick, und ich kann dir versichern, dass ich kaum wagte zu atmen.
Endlich richtete sich der Monarch auf und ließ seinen Stab mit der Löwenschwanzquaste durch die Luft sausen. Er hatte eine Entscheidung getroffen und begann zu sprechen.
>Wenn ein Mann einen anderen tötet, wird er nach unseren Gesetzen mit dem Tode bestraft. Doch wenn keine Hexerei im Spiel war und es ihm gelingt zu fliehen, bevor meine Häscher ihn eingefangen haben, und er für lange Zeit seiner Heimat fern bleibt, werden ihm diejenigen, die den Toten zu beklagen haben, in ihrem Herzen vergeben, denn es ist furchtbar für einen Zulu, wenn er heimatlos durch die Hügel ziehen muss. Sollte Khayi, der dann nicht mehr Häuptling sein wird, eines Tages zurückkehren, wird er wieder in unserer Mitte aufgenommen werden. Er muss zweimal den dritten Teil seiner Rinder an die Angehörigen des Toten zahlen/ Hier hielt der König inne und ließ seinen Blick über seine Krieger schweifen. >Da die Toten Elfenbeindiebe waren, müssen die Angehörigen ebenfalls eine Strafe zahlen, die ebenfalls zweimal den dritten Teil ihrer Herde beträgt. Doch die Familien dieser Toten leben in einem fernen Land, das hinter dem Rand der Welt, jenseits des großen Wassers liegt. Wir werden die Rinder nicht dorthin treiben können. Ich habe entschieden, dass sie stattdessen ins königliche Umuzi gebracht werden. Der übrig gebliebene dritte Teil von Häuptling Khayis Rindern wird künftig bei Jontani, der unser Freund ist, leben. Außerdem wird Khayis Umuzi dem Erdboden gleichgemacht und seine Familie in alle Winde verstreut. Khayi ist nun wie ein Stier ohne Hörner.<
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