1 - Schatten im Wasser
Gewehr jedoch, das über seiner Schulter hing, glänzte frisch geputzt.
Ruhig sahen sie sich in die Augen. Er hatte sehr dunkle Augen.
Koboldaugen, wie Grandpere, dachte sie und wunderte sich, dass sie keinerlei Furcht empfand. Es ging nicht der Hauch einer Bedrohung von diesem Mann aus. Im Gegenteil, sie spürte den überraschenden Wunsch, ihn kennen zu lernen. »Guten Tag«, grüßte sie auf Englisch. »Was wünschen Sie?«
Seine Antwort kam bedächtig. »Auch ich wünsche einen guten Tag, Madame. Ich wäre dankbar für Wasser für mich und meinen Hund hier und einen Schlafplatz für uns beide für eine Nacht.« Der Hund, ein großes, schwarzes Tier, lag hechelnd neben ihm.
Sie hob ihre erdverschmierten Hände. »Bitte kommen Sie herauf, ich muss mir erst die Hände waschen.« Als sie wieder herauskam, lehnte er am Verandageländer, ein Rucksack und der Hund, eine Dogge von Kalbgröße, lagen zu seinen Füßen. Eine große Ruhe und Gelassenheit umgab ihn.
Sie ging auf ihn zu. »Ich bin Catherine Steinach. Wie heißen Sie?«
»Man nennt mich Le Vieux ...«
»Den Alten«, fiel ihm Catherine ins Wort. »Sind Sie Franzose?«
Nun lächelte er. »Mais oui, teilweise zumindest. Sie etwa auch?« Seine Stimme war tief und ziemlich rau, als hätte er sie lange nicht benutzt.
Sie lachte und wechselte ebenfalls ins Französische. »Auch nur teilweise. Mein Mädchenname war le Roux. Die Familie meines Vaters kam aus Frankreich, und von meinem Grandpere habe ich die Sprache gelernt.
Und wie heißen Sie wirklich?«
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»Ach, meinen Namen habe ich längst vergessen, zusammen mit meiner Vergangenheit...«
»Ich kann Sie doch unmöglich mit >Der Alte< anreden«, fiel sie ihm ins Wort.
Sein Lächeln wurde breiter. Es war offensichtlich, dass ihm die Hausherrin ausnehmend gut gefiel. »Pierre Dil on, doch Pierre genügt, zu Ihren Diensten, Madame.« Er machte eine hölzerne Verbeugung, dann zeigte er auf seinen Hund. »Das ist Napoleon.«
»Napoleon? Dafür ist er doch eigentlich zu groß, nicht wahr?«
Jetzt lachte er laut. »Oh, aber er ist auch größenwahnsinnig, er gibt sich der Il usion hin, er wäre ein Löwe. Das hat ihn schon mehrfach in größte Schwierigkeiten gebracht.«
Es war so leicht, sich mit Pierre zu unterhalten, und sie überlegte fieberhaft, wie sie ihn bewegen konnte, länger als nur eine Nacht auf der Farm zu bleiben. »Mein Mann müsste bald von den Feldern kommen, und Sie würden uns eine große Freude machen, wenn Sie mit uns zu Abend essen würden. Ein Gästezimmer haben wir leider nicht, aber im Wohnzimmer oder in der Küche ist genügend Platz für Sie und Ihren Hund.« Während sie sprach, hatte sie Wasser in eine Schüssel gegossen und Napoleon hingestellt. »Ich habe noch ein großes Stück Springbock-pastete vom Mittagessen übrig und genügend Kaffee. Bitte setzen Sie sich.« Sie zeigte auf den Tisch unter der Mimose.
Als Johann abends kam, genügte ihr ein Blick, um festzustellen, dass sich die beiden Männer auf Anhieb sympathisch waren. Pierre war nicht nur voller Geschichten und Schnurren, sondern hatte auch unerwartete Fähigkeiten. Bald waren er und Johann in Fachsimpelei über die richtige Zeit, Zuckerrohr zu ernten, und ob das hügelige Terrain in Zululand der Qualität abträglich sei, über das Lungenfieber der Rinder und die Beschaf-fenheit der Erde von Inqaba vertieft.
»In Frankreich haben Sie Ihr Wissen über das Zuckerrohr nicht sammeln können, nicht wahr?«, fragte Johann.
»Nein«, sagte Pierre.
Nichts weiter.
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Eine ganze Kerze lang saßen sie an diesem Abend noch zusammen und redeten, und als die Kerze erloschen war und der funkelnde Sternenhimmel über ihnen aufzog, fanden sie immer noch etwas zu erzählen. Doch Pierre gab weder seine Vergangenheit preis, noch verlor er ein Wort über die Tatsache, dass er zu Fuß durch Afrika zog. »Es hat sich so ergeben«, sagte er, und obwohl Catherine die Neugier plagte, respektierte sie, wie Johann auch, seine Zurückhaltung. In dieser Nacht schlief er in der Küche.
Als er sich zurückzog, drehte er sich noch einmal um. »Ich habe auf Martinique Zuckerrohr angebaut«, sagte er und zog die Tür hinter sich zu.
Am nächsten Morgen stand er mit der Sonne auf und erschien mit frisch geschnittenen Haaren und glatt rasiert zum Frühstück. Es veränderte sein Aussehen grundlegend.
Ein gebildeter Mann von Herkunft und Substanz, dachte Catherine, und er hat sich entschlossen, sich nicht mehr zu verstecken. Sie hegte
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