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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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dachte lange darüber nach. »Wird das Geld eines Tages genug sein, dass sich dieser Mann Land kaufen kann?«
    »Wenn er hart arbeitet, ja.«
    Sicelo malte mit seinem nackten Zeh Figuren auf den festgestampften Lehmfußboden. »Dein Land?«
    Nun wusste Johann, dass alles in Ordnung kommen würde. »Nein«, antwortete er, »nein, nicht mein Land, nur du wirst es mit mir teilen. Wie du weißt, hat es mir der König gewährt, ich darf mit meiner Familie hier leben und es bewirtschaften, und
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    meine Rinder dürfen darauf weiden, aber wie alles Land in Zululand gehört es deinem Volk.«
    Sicelo neigte seinen Kopf, ein langsames Lächeln umspielte seine Lippen. Schweigend füllte er den Ukhamba wieder bis zum Rand und reichte ihn seinem weißen Freund. »Deine Haut ist weiß wie der Unterbauch eines Fisches, aber deine Seele ist schwarz.«
    Johann musste noch mehrere Gefäße mit Bier leeren, aber den Frieden auf Inqaba waren der Rausch, die Kopfschmerzen und der saure Magen am nächsten Morgen ohne weiteres wert.
    Danach herrschte gespannte Ruhe zwischen Sicelo und Le Vieux. Doch als Pierre, der sonst nie mit Sicelo sprach, den Zulu eines Tages aufforderte, Caligulas Vorderhuf zu halten, weil das Tier unruhig war und um sich trat, während er den Huf untersuchte, rührte sich Sicelo nicht.
    »Ich bin ein freier Mann, der Land und Rinder besitzt. Männer, die landlos sind, sind Sklaven. Du besitzt kein Land, also bist du ein Sklave.
    Das ist deine Arbeit, iKafula!«, spuckte er aus.
    Pierre sah ihn ruhig an. Sein sonnengebräuntes Gesicht wirkte wie aus Stein gehauen. »Ich besitze Land, das größer ist als ganz Inqaba, fruchtbares, grünes Land, doch es liegt weit hinter der Grenze zwischen Himmel und Erde, weiter weg, als du sehen kannst, weiter weg, als du denken kannst. Es gab ein großes Feuer, das meine Familie auslöschte und mein Herz zu Asche verbrannte. Seitdem suche ich, und jetzt glaube ich, es endlich gefunden zu haben. Aber ich werde nicht bleiben, wenn du es nicht auch wil st.«
    Der große Zulu rührte keinen Muskel. Lange stand er so da, dann bückte er sich, hob Caligulas Vorderbein hoch und packte es mit beiden Händen, während er seine Schulter gegen den Pferdehals lehnte und das Tier so ruhig hielt.
    »Yabonga«, murmelte Pierre und beugte sich über den entzündeten Huf.
    In der wenigen freien Zeit, die ihm die Farmarbeit ließ, schnitzte Pierre eine Bambusflöte und saß abends neben seinem flackernden Feuer und spielte. Sie erzählten ihre eigenen Geschich-597
    ten, seine Melodien, sie waren voller Sehnsucht und oft schwer von Traurigkeit, doch manchmal, und, als die Zeit verging, immer öfter, begannen die Töne zu tanzen und jauchzen.
    Catherine auf der Veranda hörte es. »Seine Seele beginnt zu heilen«, flüsterte sie Johann zu.

    *
Trotz des sehr warmen Frühsommers erholte sich Catherine nur langsam von den ständigen Erkältungen, die sie durch den Winter begleitet hatten, denn in jüngster Zeit plagte sie häufig Übelkeit. Um sich abzulenken, nahm sie sich wieder die Geschichte der de Vila Flors vor. Die Sonne ging immer später unter, das Tageslicht schwand erst kurz vor sieben Uhr und bot ihr Gelegenheit, länger zu lesen, denn sie fand Kerzengießen derart mühselig, dass sie freiwil ig Licht sparte. Sie aß schnell ein Stück trockenes Brot, um den Brechreiz herunterzuschlucken, der ihr wieder in der Kehle brannte, und blätterte die Seite auf, bei der sie zuletzt vor vielen Wochen aufgehört hatte. Die ersten Worte schon zogen sie mit sich, drei Jahrhunderte zurück in den Winter von 1552.
    Dom Alvaro de Vila Flor war mit seiner Familie und dem traurigen Rest der Besatzung immer nach Norden marschiert, und die Qualen, die sie durchlitten, mussten unmenschlich gewesen sein. Es drehte Catherine buchstäblich den Magen um, aber sie zwang sich weiterzulesen. Sorgfaltig die Schilderungen meidend, die ihr allzu sehr zusetzten, ließ sie ihren Blick von Absatz zu Absatz springen, sodass sie nur den groben Fortgang der Geschichte aufnahm.
    Nur noch zwanzig Mann der Besatzung und etwa ebenso viele Sklaven waren noch am Leben, als die Schiffbrüchigen das Gebiet eines freundlich erscheinenden Eingeborenenstammes erreichten. Nach sechs Monaten Grauen, nachdem es schon Fälle von Kannibalismus gegeben hatte, und Dom Alvaros Stellvertreter, Dom Pantaleo, verrückt geworden und auf Nimmerwiedersehen in den Busch gerannt war, hatten der Dom und seine Offi-598
    ziere keinerlei

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