1 - Schatten im Wasser
Büffeldornbaum. »Es ist gut so. Es ist der Baum, unter dem wir Zulus unsere Toten begraben. Die Seele deines Kindes wird für immer in diesem Baum leben und bei dir bleiben, bis du am Tag, an dem du deinen Körper verlässt, dich zu ihr gesellst«, sagte er.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück zum Haus.
»Ich habe etwas für die Nkosikasi. Ich werde es holen«, murmelte der große Zulu und verschwand hinter seiner Hütte.
Kurze Zeit später kehrte er zurück. In seiner Hand hielt er ein Bündel Pflanzen, deren silbrig grüne, fedrige Blätter einen frischen, würzigen Duft verströmten. In der Tür blieb er stehen und bat um Erlaubnis, das Krankenzimmer zu betreten. Johann nickte.
Catherine merkte nicht, wie Sicelo vor ihrem Bett in die Hocke ging und ein Blatt des Fieberkrauts unter ihrer Nase zerrieb, aber der Duft der freigesetzten ätherischen Öle erreichte sie in ihrer Bewusstlosigkeit. Sie schien ruhiger zu werden. Johann eilte zum Kochhaus und kochte nach dem Rezept, das sie mit Aschetinte auf die Küchenwand geschrieben hatte, den Brei, der auch ihm schon das Leben gerettet hatte. Während Mila den Kopf betend in ihren Händen vergrub, schob er Catherine Löffel für Löffel von dem Brei in den Mund. Dann warteten sie gemeinsam, Mila, er und Sicelo.
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Sie warteten die ganze Nacht hindurch. Irgendwann morgens erwachte Catherine schweißgebadet und schlug die Augen auf. Sie musste sich erst langsam von dem zähen Schlamm ihrer wilden Fieberträume über verweste Kinder und tote Affen mit Goldkäferaugen befreien, ehe sie Mila erkannte, die sich aufgeregt über sie beugte. Erleichtert probierte sie ein Lächeln. Es musste ein böser Traum gewesen sein. »Guten Morgen. Mila und Sicelo, was macht ihr hier?«, fragte sie verwirrt. »Was ist passiert? Habe ich lange geschlafen? Ich habe einen wirklich furchtbaren Traum gehabt ... mein Baby ...« Al mählich wurde ihr bewusst, dass Milas Gesicht ungewöhnlich ernst war. Dann war Johann da und nahm ihre rechte Hand fest in seine, und im Hintergrund stand Sicelo, sein dunkles Gesicht versteinert vor Gram.
»Ist etwas mit meinem Baby?« Ihre Stimme klang dünn, und ihre andere Hand, mit der sie über ihren Bauch strich, erschien ihr zentnerschwer.
Für Sekunden schloss Mila die Augen, dann nahm sie ihren Mut zusammen. »Es hat keinen Sinn, drum herum zu reden«, sagte sie, während sie Catherine mit mütterlicher Geste das Haar aus der Stirn strich.
»Du hast das Sumpffieber bekommen und dein Kind verloren. Es tut mir entsetzlich Leid, aber glaube mir, du wirst wieder Kinder bekommen, und dann wird al es gut gehen. Du bist eine kerngesunde junge Frau.«
Ihr Bauch war leer, ihr Kind tot, und sie war wieder allein. Das war alles, was Catherine verstand, und alles, was sie geglaubt hatte, geträumt zu haben, kam zurück, und sie wusste, dass es Wirklichkeit gewesen war. Sie biss ihre Zähne aufeinander, um diesen Schmerz aushalten zu können, und für einen ganzen Tag und eine Nacht ließ sie niemanden, weder Johann noch Mila, an sich heran.
Johann saß neben ihr, streichelte sie, redete mit ihr, flehte sie an, ihn nicht auszuschließen, aber sie war wie zu Stein erstarrt.
Erst am nächsten Abend fiel sie in einen unruhigen Schlaf, und er wagte es, sie allein zu lassen, um in die Küche zu gehen 633
und einen Schluck Wasser zu trinken. Er war grau im Gesicht und bis ins Mark erschöpft vor Sorge.
Mila nötigte ihm einen Teller Hühnersuppe auf. »Johann, du musst sie hier wegbringen. Pack sie in deinen Wagen und fahre für ein paar Monate mit ihr ans Meer, wo es kein Fieber gibt. Sie ist durch das Fieber und die Fehlgeburt körperlich und seelisch so geschwächt, dass sie diesen Sommer nicht überlebt, wenn sie noch einmal Malaria bekommt, und die ist dieses Jahr besonders schlimm, wie du weißt. Du kannst unbesorgt gehen.
Du hast doch Pierre.«
Er sagte es Catherine sofort. »Sowie du die Reise körperlich durchhalten kannst, werden wir Urlaub am Meer machen. Dort ist die Luft frisch und angenehm, und du wirst wieder völlig gesund werden.« Mit tiefster Dankbarkeit sah er ihre blauen Augen kurz aufleuchten.
Ein schwaches Lächeln überzog das bleiche Gesicht. »Ans Meer! Das ist... wunderbar. Wohin werden wir fahren?« Flüchtig drängte sich ihr das Bild Travemündes auf, dem beschaulichen Fischerdorf mit den entzückenden weiß gekalkten Häuschen an der Ostsee, von Spaziergängen am Strand und im Kurgarten und Buttercremetorten in der
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