1 - Schatten im Wasser
bisher vom Meer nur gehört. »Ich werde es nicht berühren«, sagte sie entschieden. »Die Alten meiner Familie sagen, dass seltsame Wesen in seinen Tiefen leben, die in Mondnächten an Land kriechen und die Menschen mit sich nehmen.« Kein Argument Catherines konnte sie von dieser Überzeugung abbringen.
Catherine lehnte sich zurück und schloss die Augen. Es war einer jener Tage in Zululand, da man glauben konnte, geradewegs in einem Glutofen gelandet zu sein. Die Hitze prallte in glühenden Wellen von der sonnengebackenen Erde und den weißen Felsen zurück, die wie blanke Knochen übers Land verstreut lagen. Der Himmel war ein tiefes, brennendes Blau, das Grün der Hügel staubig, und die Konturen waren scharf gezeichnet. Sie saß im Inneren des Wagens, hatte die Plane am unteren Ende aufgerollt, ihre Rockzipfel um die Hüfte gebunden und hoffte auf einen Luftzug.
Die Nächte waren warm und silbern, Myriaden von Sternen funkelten über ihnen, Afrika wisperte, gluckste, lachte und sang um sie herum, und sie schlief sicher in Johanns Armen, bis
die Sonne morgens die Welt vergoldete.
*
Am Rande des grünen Küstenurwalds glitzerte die Lagune, und als Johann seine Ochsen auf der Kuppe der letzten, sanft geschwungenen Düne zügelte, sah Catherine das Meer.
Es erstreckte sich zu ihren Füßen bis in die blaue Unendlichkeit. Dunst verwischte die Grenze zwischen Himmel und Wasser, es gab keinen Horizont heute, nur weites, schimmerndes Licht. »Ich möchte aussteigen«, flüsterte sie und kletterte mit Johanns Hilfe hinunter, und als sie ihre nackten Zehen in dem warmen Sand vergrub, begann ihre Heilung an Leib und Seele. Langsam, jeden Schritt spürend, ging sie hinunter zum Saum des Wassers. Es wehte ein leichter Wind, das Meer atmete langsam aus, und die langen Wellen brachen sich, es atmete ein, und sie liefen mit leisem Zischen zurück. Zu ihren Füßen wuch
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sen flach geschliffene, nachtblaue Felsen aus dem Sand, der nicht weiß war, wie sie ihn von den Inseln vor Westafrika kannte, sondern ein sattes Gold. Vorsichtig, um sich die Sohlen nicht an den Seepocken zu verletzen, kletterte sie auf die höchste Klippe und hob ihr Gesicht in die Sonne.
Johann stand oben auf der Düne, sah hinunter zu der kleinen Gestalt in der Unendlichkeit der gleißenden Strandwelt, sah, wie sie die Arme hochstreckte und ihr Haar im Wind flattern ließ, und konnte fast nicht atmen vor lauter Glück und Dankbarkeit.
*
Wie Johann versprochen hatte, stand ihre Bienenkorbhütte innerhalb von zwei Tagen. Es gelang ihm, eine weitere junge Schwarze, Diboli, anzustellen, die Jabisa half, die Hütte zu bauen. Sie legten die Grasmatten, die Jabisa bereits in den vergangenen Wochen auf Inqaba gewebt hatte, um den halbkugelförmigen Rahmen aus Baumschösslingen herum, eine Lage nach der anderen, und befestigten sie mit geflochtenen Grasstricken.
Diboli, die bisher auf einer Missionsstation in der Nähe der neuen Siedlung Verulam gearbeitet hatte, von den Missionaren eigentlich Deborah getauft worden war, ein Name, den kein Zulu aussprechen konnte, und wie selbstverständlich ein einfaches Baumwollkleid statt der traditionellen Tracht aus Gras- röckchen und Perlenschnüren trug, begleitete ihre Arbeit mit christlichen Hymnen, die sie bei dem Missionar gelernt hatte. Ihre Stimme war von so strahlender Klarheit, als käme sie aus der Kehle eines Engels.
Die beiden jungen Frauen bauten die Hütte um die Haustür von Inqaba, und nach weiteren zwei Tagen, als der Boden aus Kuhdung und der unterwegs gesammelten Erde eines Ameisenhügels zu einem matten Glanz poliert war, öffnete Johann die Tür und bat seine Frau in ihr neues Haus. Sie trat ein, misstrauisch schnuppernd, denn sie erwartete den Geruch von Kuh und Mist.
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Zu ihrer Überraschung roch es angenehm, wie frische Milch, es war erstaunlich geräumig und, da Jabisa auf ihr Bitten eine große Fensteröffnung freigelassen hatte, auch nicht dunkel. Mit Johanns Hilfe hängte sie die Gardine aus Inqaba auf. Die Eingangstür stand offen, sie setzte sich auf ihr Bett und schaute hinaus in die Helligkeit. Als Bauplatz hatte Johann eine Mulde auf der Krone der höchsten Düne gewählt. Nach Norden, Süden und Westen schützten sie flache Bäume und verfilzter Busch vor starken Winden, zum Osten hin war die Mulde flacher, und ihr Blick ging über den Dünenhang, der mit blau blühenden Ranken bewachsen war, und das gischtumtoste Riff in die Weite des Ozeans. Ein Viermaster unter
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