1 - Schatten im Wasser
Windschatten.
»Einen großen Schreck habe ich schon bekommen, ich bin noch ganz zittrig«, gab sie zu. »Aber dann packte mich diese unglaubliche Wut, ich fühlte mich wie eine Löwenmutter, deren Junges angegriffen wird.« Das Gefühl hatte sie mit einer Macht überfallen, die sie völlig überrumpelt hatte.
Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch, fühlte diese köstliche, runde Schwere.
Manchmal konnte sie kaum erwarten, ihr Kind endlich im Arm zu halten.
Zogile kam nicht wieder, und wenige Tage später war sie tot und Umafutha verschwunden. Sicelo hatte ihnen morgens die Nachricht gebracht. »Keiner weiß, wohin sie sich verkrochen hat«, flüsterte er. »Die Ahnen, die sie einst riefen und zur Sangoma bestimmten, haben sie verstoßen, und ihr Zauber hat sich gegen sie gewandt.« Lange schwere Pausen lagen zwischen seinen Worten, als müsste er sie gewaltsam aus sich herauspressen. »Sie hat ihren Schatten verloren, und ein Zulu, der seinen Schatten verloren hat, hat seine Seele verloren. Er wird sich nie zu seinen Ahnen gesellen können.« Seine Stimme sank, war kaum noch hörbar. »Sie ist niemand mehr, dazu verdammt, ruhe los über die Hügel zu ziehen und des Nachts in den Löchern von Mpisi, der Hyäne, zu schlafen, für immer, bis die Zeit zu Ende ist.« Sein Blick ging ins Leere. Er verstummte.
»Wirst du mir sagen, was es bedeutet, wenn eine Hand auf mich zeigt, deren zwei mittlere Finger zur Handfläche gebogen sind?«
Schweißperlen erschienen auf Sicelos Stirn. »Es bedeutet den Tod.
Aber es wird kein schneller Wechsel vom Licht ins Dunkel sein. Dieser Tod wird grausam sein, unter Qualen, für die es keine Worte gibt. So ist es«, sagte er und ging dann.
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Seine Worte krochen wie Tausende haariger Raupen über ihre Haut, und sie schüttelte sich unwil kürlich.
Johann sah sie schaudern. Er erkannte es sofort als etwas viel Schlimmeres als einen Entsetzensschauer, und erschrak. »Frierst du? Du hast ja eine Gänsehaut in dieser Backofenhitze.« Besorgt legte er ihr den Handrücken auf die Stirn. Sie glühte. »Du hast Fieber. Das ist sicher der Schreck.«
Gib Gott, dass es nicht das Sumpffieber ist, betete er und hob sie einfach hoch, trug sie ins Schlafzimmer und ließ sie aufs Bett gleiten. »Rühr dich nicht. Ich werde dir Wadenwickel machen und nach Mila schicken.«
Von einer plötzlichen Schwäche übermannt, legte sie sich dankbar zurück in die Kissen und schützte ihre Augen gegen das grelle Licht, das durch die Fensterlöcher hereinströmte.
*
Die Schutzmauer ihres Glücks fiel zusammen. Johann und Mila wachten an ihrem Bett, Pierre saß wie zu Stein erstarrt vor seinem Haus, seine Bambusflöte schwieg. Mila zerkleinerte die wenigen Kräuterpil en, die von Catherines eigenen noch übrig waren, löste sie in Wasser auf und flößte ihr den Sud schluckweise ein. Doch Catherine verglühte förmlich im Fieber, wurde von Schüttelfrösten geschüttelt, als hätte sie eine Riesenfaust gepackt, und in derselben Nacht verlor sie ihr Kind. Durch den scharlachroten Schleier von Schmerz und Angst nahm sie nichts von der Wirklichkeit wahr.
Johann hielt ihre Hände und betete, wie er noch nie gebetet hatte. Als Mila das, was sein Kind gewesen war, wegtragen wollte, hielt er sie zurück, nahm ihr die Schüssel mit dem blutverschmierten, faustgroßen Klumpen ab, und während ihm die Tränen über das Gesicht strömten, wickelte er sein totes Kind in ein Tuch und legte es in einen schmalen hölzernen Kasten. Es war ein kleiner Junge.
Den Kasten in beiden Händen haltend, trug er ihn hinüber zu dem Hügel, der dem Haus am nächsten lag. Dort auf der abge 631
flachten Kuppe, wo der Blick über Zululands grüne Hügel in die Unendlichkeit lief, begrub er seinen Sohn unter der lichten Kuppel eines uralten Büffeldornbaums. Über ihm wölbte sich der strahlend blaue afrikanische Himmel, um ihn flüsterte geschäftig der Busch, doch in ihm war nur Schwärze und diese unendliche Angst, auch noch Catherine zu verlieren. Er legte die Hände zusammen und flehte Gott um Gnade an.
Lange verharrte er neben dem Steinhaufen, den er über dem Grab aufgeschichtet hatte, seine Augen brannten heiß, und sein Herz war ein kalter Stein in seiner Brust. Als er sich endlich abwandte, trat Sicelo aus dem flirrenden Schatten der mit gelben Pompomblüten übersäten Süßdornakazie, die auf dem höchsten Punkt des Hügels wuchs. Einen Augenblick stand er schweigend neben seinem Freund, dann berührte er den
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