1 - Schatten im Wasser
weil sie die anderen noch öfter gelesen hatte. »Mir hängt das Leben hier zum Halse heraus. Ich kann es nicht mehr ertragen.« Plötzlich wallte ihr Blut auf. »Ich wil nicht mehr, hörst du?«, schrie sie Johann an, der sie vollkommen überrumpelt anschaute. »Sieh mich doch an! Wir haben einen Sack voll Gold, und ich laufe in Lumpen herum.« Sie zerrte an den ausgefransten Hosenbeinen der Hose, die sie Anfang des Jahres in Durban gekauft hatte. »Unsere Tochter wächst wie ein Kaffer auf, du arbeitest wie ein Sklave und ich ...«Ihre Stimme brach. »Mein Leben geht an mir vorbei.
Den ganzen Tag bin ich allein mit Viktoria. Jetzt haben Mila und Pierre uns verlassen, und
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alles, was ich von dir höre, ist, dass du diese verfluchte Farm nicht allein lassen kannst.«
Es war sehr stil nach ihrem Ausbruch. Johann wagte nicht, etwas zu sagen, er hätte auch nicht gewusst, was. Er fühlte nur, dass sie an einem entscheidenden Punkt ihrer Ehe angekommen waren. Ihm war, als hielte er ein hauchdünnes Glasgefäß in der Hand und sollte damit über eine Klippe springen.
Catherine fing wieder an zu sprechen, dieses Mal ganz ruhig, mit einer Stimme, die bar jeden Ausdrucks war. »Seit April gibt es Fensterglas in der Kolonie, jetzt ist Anfang September, und wir müssen unsere Löcher immer noch mit zerfledderten Decken zustopfen, wenn wir es uns doch leisten könnten, das ganze Haus zu verglasen. Ich wil Fensterglas, und ich wil , dass sich unser Leben ändert. Wie Onetoe-Jack vor langer Zeit die Tugen-den einer Farmersfrau in Afrika beschrieben hat, habe ich reiten gelernt, kochen, backen, nähen und vieles andere. Ich kann Kühe melken und ihren Kälbern auf die Welt helfen. Ich habe gelernt, Scharen von unangemeldeten Gästen wil kommen zu heißen, und kann mit unseren Zulus umgehen. Meine Konstitution stellt die eines Trekochsen in den Schatten, und ich habe mich bemüht, ein sonniges Gemüt an den Tag zu legen. Ich habe alles mitgemacht, das weißt du, habe selten geklagt, aber jetzt kann ich nicht mehr. Tu etwas!«
»Catherine, Liebling...« Er war aufgesprungen. »Bitte ...«
Aber sie wehrte ihn ab, und im Bett drehte sie ihm den Rücken zu, steckte die Faust in den Mund, damit er ihr Weinen nicht hörte.
Er lag neben ihr und zermarterte sich das Hirn, was er tun sollte, denn ihm war wohl klar, dass er etwas ändern musste, wollte er sie nicht verlieren. Das Glasgefaß drohte, in tausend Splitter zu zerspringen. Noch bevor der Morgendunst aus den Tälern stieg, hatte er einen Entschluss gefasst. Er sagte es ihr, als sie sich an den Frühstückstisch setzten. »Ich werde das, was von meiner Rinderherde übrig ist, Sicelo anvertrauen. Dann werden wir den Planwagen packen und nach Durban fahren. Ich wil dich nicht verlieren.«
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»Gut«, sagte sie nach einer langen Pause. »Sag mir Bescheid, wenn es so weit ist.« Aber ihr Rücken blieb steif, ihre Miene grimmig.
*
»Post kommt«, rief Jabisa, die im Kochhaus den Maisbrei rührte, und zeigte auf den Weg, der im flirrenden Schatten der gelb blühenden Kiaatbäume lag.
Catherine stand steifbeinig auf und ging dem Schwarzen entgegen, der, wie üblich bei den Postläufern, seinen Proviant in Form eines großen Fleischstückes auf der Spitze seines Assegais mit sich trug. »Gib ihm Phutu und Gemüse«, befahl sie Jabisa und nahm die zusammengefaltete Nachricht aus dem gespaltenen Stock entgegen. Der Mann bedankte sich und folgte der kleinen Zulu.
»Es ist für dich«, sagte sie und reichte den Zettel Johann. Sie hatte Dans ungeübte Handschrift erkannt. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn sie einen Brief bekommen hätte, der ihren eintönigen Tag belebt hätte.
»Verdammt«, sagte Johann, als er die kurze Mitteilung gelesen hatte.
»O verdammt, verdammt, verdammt!« Er hieb mit der Faust auf den Tisch, dass seine Tasse hüpfte.
Prüfend sah sie ihn an, denn er war mit einem Schlag kalkweiß geworden. »Was ist los?«
»Dan und Onetoe-Jack haben endlich Bernitt und seine Kumpane aufgestöbert, und dieser rotjackige Hottentotte hat Onetoe-Jack nachts aus dem Hinterhalt erschossen. Nun ist die gesamte Kolonie auf Rache aus.«
»O mein Gott«, flüsterte sie und sank auf einen Stuhl. Wieder ein Tod, wieder einer ihrer Freunde gegangen. Wieder hatte sie ein Mensch für immer verlassen.
»Dieses Mal wird er uns nicht entkommen, es sind nicht nur die Weißen hinter ihm her, sondern auch die Angehörigen von Jacks Frauen. Al e Clans, mit denen er durch sie
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