1 - Schatten im Wasser
keiner hörte sie. In fliegender Hast löste sie die Haken der Fensterläden und stemmte sich mit aller Kraft dagegen, um sie zu schließen. Aber immer wieder wurden sie ihr aus den Händen geweht und krachten gegen die Hauswand. Endlich hatte sie es geschafft, wenigstens die vor dem Schlafzimmerfenster zu schließen. Aufatmend lehnte sie an der Wand. Viktoria war in Sicherheit. Blind von dem peitschenden Regen, tastete sie sich zur Tür, drückte sie einen Spalt auf und schlüpfte hinein.
Blitz auf Schlag kam, der Sturm tobte, Regen stürzte herunter, in kürzester Zeit leckte die Nässe durchs ausgetrocknete Rieddach, und sie und Jabisa waren vollauf damit beschäftigt zu verhindern, dass sie drinnen keine Überschwemmung bekamen. Viktoria schrie unablässig, und langsam kroch die Angst auch in Catherines Seele. Gewitter hatten sie nie schrecken können, aber dieses war kein normales Gewitter. Schon entdeckte sie in der Ferne Feuerschein, wo die Hütten eines Umuzis ab-brannten, und der Wind röhrte, als wären alle Teufel der Hölle losgelassen.
Von der Küche aus sah sie, dass Dreck und Geröll in ihr Wasserreservoir gerutscht waren und dass die Mauer drohte nachzugeben.
»Bitte nicht das«, betete sie. Ohne Trinkwasser wäre es das Ende von Inqaba. Über den Hof stürzte die Flut, strudelte durch ihren Garten, riss ihre Medizinkräuter heraus, entwurzelte Obstbäume. Die Fieberkrautpflanzen schwammen davon. Zwei in Todesangst gackernde Hühner wurden am Haus vorbeigespült und verschwanden in einem Sturzbach von Schlamm über den Abhang. In den Amatungulus, die uralt waren, sehr starke Wurzeln hatten und deswegen noch standhielten, blieben die Tiere hängen.
Catherine versuchte nicht einmal, sie zu retten. Sie selbst wäre dabei in Lebensgefahr geraten.
Das Unwetter tobte die Nacht hindurch, und weder sie noch Jabisa oder Viktoria taten ein Auge zu. Es gab nichts, was Catherine zu ihrem Schutz hätte unternehmen können. Sie war dazu
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verurteilt, wehrlos zu ertragen, was die Natur für sie bereithielt. Im Morgengrauen, der Regen fiel mit unverminderter Heftigkeit, und der Wind hatte überhaupt nicht nachgelassen, wagte sie es, die Tür zu öffnen und hinauszuschauen. Jabisa, die kaum von ihrer Seite wich und in der Nacht ihr Bein fest umschlungen hatte, tat es ihr gleich. Plötzlich schrie das Mädchen gellend auf und zeigte nach Norden.
»Es ist die große Schlange, die Himmelsschlange, sie kommt herunter, um uns zu verschlingen.« Am ganzen Körper schlotternd, floh die Zulu schreiend ins Haus.
Catherine sah hin, und was sich da vor ihren Augen abspielte, erfüllte auch sie mit Horror. Es hatte sich ein Wirbelsturm gebildet, und sein langer Schlauch, der sich aus den pechschwarzen Wolken schlängelte, die den ganzen Horizont bedeckten, war breit und stark und sog alles, was er bekommen konnte, in sich hinein. Mit erschreckender Geschwindigkeit raste er auf Inqaba zu, schon konnte sie Büsche und ganze Bäume erkennen, die durch die Luft wirbelten.
Sie handelte blitzschnell, riss Viktoria in ihre Arme, schob den Esstisch weg, öffnete die Bodenklappe über ihrer Geheimkammer und packte den Jutesack, in dem Johann die Goldmünzen verstaut hatte, und zog mit aller Kraft. Er bewegte sich nicht. »Hilf mir«, schrie sie Jabisa an. Gemeinsam wuchteten sie ihn heraus und zerrten ihn beiseite. Mehrere Goldmünzen fielen heraus und rollten über den Boden, aber sie kümmerte sich nicht darum, legte stattdessen ihre Tochter in die Kammer, stieß Jabisa hinterher und kroch dann selbst in das stickige Loch. Sie konnte kaum atmen, so eng war es, krümmte sich in Fötushaltung um ihre Tochter und zog die Klappe zu.
Der Tornado erreichte sie, und der Himmel stürzte über ihnen ein. Als würden Giganten mit Felsen werfen, krachte und polterte es, ein hohes Pfeifen drückte auf ihre Ohren, das Haus bebte, Mil ionen von Dämonen kreischten. Jabisa wimmerte, Viktoria schrie, und Catherine betete.
Sie verlor jegliches Zeitgefühl, wusste nicht, ob Minuten, Stunden oder Tage vergangen waren, als der Sturm endlich nachließ.
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Ächzend bewegte sie ihre eingeschlafenen Arme, schob Zoll um Zoll die Klappe hoch und spähte hinaus.
Im Raum herrschte Chaos. Al e Flächen waren mit Riedbüscheln übersät, die Tür zur Veranda schlug im nachlassenden Wind hin und her, in der Fensteröffnung daneben steckte ein Busch. Quer über dem umgefallenen Tisch lag ein zentnerschwerer Ast, Grünzeug und abgerissene Zweige
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