1 - Schatten im Wasser
sammeln. Er wischte sich die Tränen vom Gesicht, sah sie dabei aber nicht an. »Bitte bleib auf Inqaba«, brach es aus ihm hervor. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn du auch noch gehst. Ich flehe dich an, lass mich hier nicht zurück. Pierre und Mila sind bereits auf dem Weg hierher, und sie bringen Martha Strydom mit, damit sie rechtzeitig zur Geburt da ist.
Justus sieht sich schon nach einem guten Verwalter um ... du wirst nicht allein sein.«
Sie legte ihm die Finger auf die Lippen und nahm alle Kraft zusammen, derer sie noch fähig war, um überhaupt sprechen zu können. »Inqaba ist meine Heimat.« Sie sah hinaus über die grünen Hügel. »Unser Sohn liegt in seiner Erde, Viktoria ist hier geboren, und dieses hier«, sie legte eine Hand auf ihr ungeborenes Kind, »wurde hier gezeugt. Inqaba war Johanns Traum. Wenn ich von hier wegginge, würde ich ihn verraten. Außerdem«, sie verzog ihr Gesicht im Schmerz, »wo sollte ich wohl sonst hingehen?«
Dan de Vil iers sah sie an, sie, der schon seit ihrer ersten Begegnung sein Herz gehörte, ertrank in diesen blauen Augen, sehnte sich nach nichts anderem, als ihre zarte Haut zu streicheln und diesen Mund zu küssen.
Seine Kinnbacken mahlten, mit übermenschlicher Anstrengung sagte er die Worte nicht und hätte doch alles darum gegeben, sie aussprechen zu können. Stattdessen senkte er die Augen, drehte seinen Hut in der Hand und schwieg.
»Wie hast du es erfahren?«, fragte Catherine und übersah geflissentlich die Gewissensnot, die ihm so klar ins Gesicht ge-761
schrieben stand, wusste sie doch längst, dass der Schlangenfan- ger hoffnungslos in sie verliebt war.
»Die Nachricht ist wie ein Buschfeuer von Umuzi zu Umuzi gesprungen und hat sich in ganz Zululand und Natal verbreitet. Al e wissen es. Johann hatte viele Freunde.« Er wandte sich ab, seine breiten Schultern bewegten sich heftig. »Soll ich ein paar Tage hier bleiben, bis du dich besser fühlst?«
Darf ich dich trösten, in den Arm nehmen, bis ans Ende meines Lebens für dich da sein? Das sagte er nicht. Natürlich nicht.
Sie legte ihm die Hand an die Wange und schüttelte den Kopf.
*
Der Pil endreher, der im Garten unter den Guavenbäumen seine Dungkugel über die rote Erde rollte, war wunderschön. Seine gewölbten Flügeldecken schimmerten je nach Lichteinfall metallisch blau oder grün und manchmal auch violett. Mit den Vorderbeinen stemmte er sich ab, die Hinterbeine wuchteten die Kugel, die er aus dem Mist einer jungen Schirrantilope gedreht hatte, auch über das größte Hindernis. Emsig begann er, rings um die Mistkugel zu graben, und versenkte sie neben den anderen Mistkugeln, in die sein Weibchen bald ihre Eier legen würde. Er grub tiefer und tiefer, kleine Steinchen rollten beiseite, die Krume lockerte sich, brach auf, und die Knöchelchen, die alles waren, was die Ameisen von Johann Steinachs Finger übrig
gelassen hatten, wurden von der afrikanischen Erde bedeckt.
*
Am sechsten Tag nach Johanns Verschwinden nahm Catherine eine Schaufel und marschierte den beschwerlichen Weg hinüber zu dem Hügel, auf dem ihr kleiner Sohn beerdigt war. Lange saß sie an seinem Grab, endlich legte sie ihre Hand auf das weiße Kreuz und stand auf. Direkt neben der Ruhestätte grub sie ein Loch, nicht groß, gerade so, dass sie eins der Püppchen, die Johann für Viktoria geschnitzt hatte, hineinlegen konnte. Dann
762
zog sie ihren Ehering ab und legte ihn dazu. Sie schüttete das Loch zu, rollte einen größeren Stein darüber und fertigte aus zwei Ästen des Büffeldorns, die sie mit einer aus Gras gedrehten Schnur zusammenband, ein grobes Kreuz. Sie steckte es tief in die Erde und stand auf. Nun gab es einen Ort, an dem sie trauern konnte.
Es war vorbei, das wusste sie. Auch ihre Hoffnung hatte sie hier begraben. Sie stützte sich auf die Schaufel, strich mit dem Fuß die Erdkrümel glatt. Später würde sie über beiden Gräbern einen Baum pflanzen, einen Kaffirbaum, der zu Zululand gehörte wie kein anderer. Er würde in dem feuchtwarmen Klima wachsen und gedeihen, rasch seine Wurzeln in die rote Erde senken, seine Kraft und Nahrung aus dem saugen, was unter ihm lag. Für Generationen würde er seine Krone schützend über Vater und Sohn ausbreiten, und seine Blütenkrönchen würden leuchten wie das ewige Feuer. Eines fernen Tages würde auch sie in seinem Schatten ruhen und endlich ihren Frieden finden.
Eine Hand auf den Rücken gepresst, wandte sie sich ab und machte sich auf den
Weitere Kostenlose Bücher