1 - Schatten im Wasser
Brust, die nun stil war, und drückte ihm die Augen zu. Sie senkte den Kopf, wusste nicht, wie sie auch nur die nächsten Sekunden ertragen sollte.
Lange hockte sie so, hatte selbst die Wirklichkeit verlassen, schwebte zwischen den Welten in einem kalten, schwarzen Raum, bis laute Stimmen sie zurückholten.
Sicelos Brüder erschienen, begleitet von einem Dutzend ihrer Stammesgenossen. Stumm standen sie um seine Leiche, ihre Gesichter versteinert, ihre Augen glühend vor Hass.
Endlich wandte sich Sihayo von seinem toten Bruder ab und kam zu ihr.
»Wir werden Jontani suchen. Es ist besser für dein Kind, wenn du im Haus wartest.«
Mit schleppenden Schritten kehrte Catherine zum Haus zurück, stand mit Viktoria im Arm reglos auf der Veranda, wie sie damals reglos im Bug der Carina gestanden hatte, als ihr Vater gestorben war, und beobachtete, wie die Zulus ausschwärmten. Sie suchten, bis die Nacht hereinbrach, sie suchten noch mit Fackeln, aber Johann blieb verschollen. Der Mond stieg hinter den Hügeln hoch und überschüttete das dunkle Land mit gespensti-schem Silber, und sie stand noch immer am selben Fleck, Viktoria war längst auf ihrem Arm eingeschlafen, aber sie fand es unmöglich, sich zu rühren. Endlich kamen die Zulus zurück.
»Jontani ist zu seinen Ahnen gegangen«, sagte Sihayo. Dann hoben sie Sicelo auf und trugen ihn heim in sein Umuzi. Auch Konstantin von Bernitt nahmen sie mit. Er lebte noch, und Catherine sah teilnahmslos zu, wie die Zulus den Mörder Sicelos an Händen und Füßen fesselten und wie ein geschlachtetes Schwein an eine Stange hängten. Vier Zulus hoben die Stange auf die Schultern und trugen ihn davon. Sie hatten ihm die Schuhe ausgezogen, und ohne großes Interesse bemerkte sie, dass er an jedem Fuß einen zusätzlichen Zeh besaß, der unmittelbar oberhalb seiner kleinen Zehen saß.
Die Zulus legten Konstantin von Bernitt, Kotabeni, irgendwo im Urwald ab, vergewisserten sich, dass er nicht fliehen konnte, und ließen ihn allein.
Der Gefangene nahm seine letzte Kraft zusammen und versuchte, die harten Grasstricke zu lockern,
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aber sie reichte nicht einmal mehr dazu, einen Finger zu bewegen. Von tödlicher Schwäche überwältigt, sank er hilflos zurück. Ein merkwürdiges Geräusch ließ ihn jedoch aufhorchen, ein Surren und mächtiges Zischen, das allmählich anschwoll. Mit einem plötzlichen Gefühl entsetzlicher Vorahnung hob er den Kopf, und dann sah er es. Er lag im Weg eines gewaltigen Wanderameisenvolkes, das zielstrebig auf ihn zumarschierte.
Als die Insekten in seine Wunden krochen, in die Nase, die Ohren, seinen Mund und die Augen, fing er an zu schreien.
*
Viktoria weinte, und Catherine trug sie hinein, fütterte sie, spielte sogar ein wenig mit ihr, doch sie bewegte sich durchs Haus wie eine Marionette und fühlte nichts als bodenlose Leere. Nachdem sie ihre Tochter ins Bett gelegt hatte, setzte sie sich unter die Mimose und starrte über das dunkle Tal. Sie schrie Johanns Namen hinaus in die Nacht, aber ihr Ruf verhallte un-beantwortet. So saß sie, horchte in die Finsternis, redete mit ihm, als könnte sie ihn mit ihren Gedanken erreichen, flehte ihn an, durchzuhalten, weigerte sich, auch nur für eine Sekunde zu glauben, dass er sie für immer allein gelassen hatte.
Viel später, als der Mond schon hoch am Himmel stand, trug der Wind den Todesschrei einer lebenden Kreatur aus der Ferne an ihr Ohr. Ein Mensch? Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken.
Nein, dachte sie, kein menschliches Wesen konnte so schreien, so atemlos, mit jeder Faser, so, als spürte es bereits die Höllenflammen auf seinem Fleisch. Eine Antilope war es vielleicht, die von einem Leoparden gerissen wurde, oder ein Warzenschwein. Die Schreie schnitten durch ihr Inneres, und sie wartete mit zusammengebissenen Zähnen, bis sie endlich verstummten.
Der Mann auf dem Waldboden bewegte sich nicht mehr, verschwand schnell unter der raschelnden Flutwelle. Dann war da nur noch das Knistern von Mil ionen winziger Beißzangen zu hören.
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So starb Graf Konstantin von Bernitt einen wahrhaft afrikanischen Tod.
In den nächsten Tagen sollten die Ameisen seine Knochen auch von den letzten Fleischresten säubern, bis nur noch sein blankes Gerippe übrig war.
Als die Zeit fortschritt, fielen Blätter von den Bäumen über ihn, Schicht um Schicht bedeckten sie sein Skelett, bis es aussah wie etwas, das dorthin gehörte.
Catherine wartete die Nacht hindurch. Der Mond wanderte, fliegende
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