1 - Schatten im Wasser
diesen Speer. Er war kreidebleich, die Knöchel seiner Faust, die den Türpfosten gepackt hatte, waren blutleer. »Sie haben einen mächtigen Schutzengel, Fräulein le Roux«, flüsterte er heiser.
Catherine war es plötzlich, als wehte ein Geruch von Anis durch den Raum. Unwil kürlich sah sich suchend um, als erwarte sie, César zu erblicken. Aber natürlich war da niemand außer dem vor Nässe tropfenden Kapitän. »Ja, das hab ich wohl«, sagte sie endlich.
»Wenn Ihr Schutzengel uns noch hold bleibt, erreichen wir in wenigen Tagen wohlbehalten Kapstadt«, bemerkte er und wandte sich zum Gehen.
»Wovon hängt das ab?«, rief sie hinter ihm her, während sie den Speer herauszog. Sein Schaft war durchgebrochen, und sie verstaute beide Teile in ihrer voluminösen Reisetasche.
Der Kapitän drehte sich noch einmal um, ein zynisches Lächeln zog seine Mundwinkel herunter. »Die Winterstürme am Kap sind so furchtbar, dass man glaubt, das letzte Stündlein sei gekommen. Vor wenigen Wintern sind in einem einzigen Sturm sieben Schiffe in der Tafelbucht gesunken.«
Damit schloss er die Kabinentür hinter sich.
»Hölle und Verdammnis«, entfuhr es ihr, und ein Kälteschauer ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Er hatte jedoch nichts mit der Temperatur ihrer Umgebung zu tun. Entschlossen, auf andere Gedanken zu kommen, machte sie sich daran, das Chaos in der Kabine aufzuräumen. Die Bücher ihres Vaters waren über den Boden verstreut. Sie bückte sich und sammelte sie ein, hob eins jedoch so ungeschickt hoch, dass es aufblätterte und ein Dokument auf den Boden fiel. Ein Blick darauf zeigte ihr, dass sie es vorher noch nicht gesehen hatte. Sie hob es auf, trug es zum Fenster und begann zu lesen.
Als sie erfasste, was sie in den Händen hielt, sank sie auf den Stuhl. Ihr Vater hatte sich Grandperes Erbe auszahlen lassen. Außer dem mageren Einkommen aus seinen Büchern hatte ihr Vater ihr den Titel einer Baronesse und einen Haufen Flaschen
94
mit in Spiritus schwimmenden, toten Tieren hinterlassen. Das Haus der le Roux und das Land gehörte Adele allein.
Es wurde Abend draußen, die Nacht brach herein. Bis in die frühen Morgenstunden saß Catherine wie angenagelt auf diesem Stuhl. Adele konnte sie nicht ausstehen, das hatte sie ihr häufig genug gezeigt. Die Hoffnung, dass sie es als ihre Pflicht ansehen würde, ihrer Nichte das Haus zu vererben, nur weil sie ihre letzte Verwandte war, könnte sich als trügerisch herausstellen. Außerdem schien ihr die Tante bei ihrem letzten Besuch gesund und munter gewesen zu sein und ihr Ableben noch in sehr weiter Ferne.
Ihr Kopf schmerzte, ihre Gedanken rasten im Kreis, sie vermochte sie nicht in kontrollierte Bahnen zu lenken, wurde immer tiefer in den Abgrund ihrer Zukunftsängste gezogen. Ihr Weg war vorgezeichnet.
Ehefrau oder Gouvernante.
*
Zur gleichen Zeit, an der Südostküste Afrikas in den grünen Hügeln Zululands, stützte Johann Steinach den Fuß auf die niedrige Mauer, die seine Veranda begrenzte, und wusste, dass der Moment gekommen war.
Der letzte Ziegelstein, den er selbst aus dem rötlich gelben Schlamm vom Wasserloch geformt hatte, war getrocknet und eingefügt. Sein Haus war fertig. Aber ein Mann und sein Haus brauchten eine Frau, um ein Heim daraus zu machen. Es war an der Zeit, auf Brautschau zu gehen.
Vorfreude glomm in seinem Herzen auf, und er stieg die wenigen Stufen hinunter zum schmalen Sandweg, der zwischen den stacheligen, nach Jasmin duftenden Amatungulubüschen zu der neuen Obstplantage führte.
Es wurde Abend, die Nachtkühle senkte sich über das Land, und aus der Ferne hörte er die hohen Schreie der eingeborenen Hirtenjungen, die seine Rinderherde in die wärmeren Täler trieben. Sie würden ihre Ziegenfelle fester um die Schultern ziehen und sich in der Nacht an den dampfenden Tierleibern wärmen. Obwohl Johann ei
95
gentlich selten fror, krempelte er die Ärmel seines rauen Baumwollhemdes herunter. Im Juni, mitten im Winter, konnte einem die Kälte in den Hügeln nachts schon tief in die Knochen kriechen.
Der Himmel hatte sich eingetrübt, und die sinkende Sonne blitzte nur hier und da durch die tief hängenden Wolken. Hoffentlich würde es endlich Regen geben. Er kratzte eine Hand voll der roten Erde vom Boden und zerkrümelte sie. Staubtrocken. Der kurze Schauer gestern war auf dem ausgetrockneten Boden verdunstet, ehe er eindringen konnte. Die Obstbäume zeigten schon erste Trockenschäden, und sein gemauertes
Weitere Kostenlose Bücher