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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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ihr entgegen. »Zurren Sie sich auf Ihrer Koje fest, da sind Sie sicher. Ich befehle es Ihnen.« Über ihm zerriss das Segel mit einem Knall, die Fetzen wickelten sich um den Mast.
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    Catherine ignorierte ihn. Die dunklen Haare peitschten um ihr Gesicht, nahmen ihr immer wieder die Sicht, und sie wünschte, sie hätte sie vorher zum Zopf geflochten. Halb blind tastete sie sich weiter, bis sie einen der Masten erfühlte, federte, so gut es ging, das Stampfen des Schiffes mit den Knien ab. Sich mit einem Arm festklammernd, schlang sie ihren Schal erst um den Mast, anschließend um ihre Mitte und sicherte ihn mit einem Doppelknoten. Dann klammerte sie sich mit beiden Armen am Baum fest und starrte hinaus aufs aufgewühlte Meer.
    Der Schiffsbug war in der Gischt verschwunden, Brecher auf Brecher überrollte das Deck, und jedes Mal, wenn sie nach Luft schnappte, füllte Salzwasser ihren Mund. Ein Fass flog übers Deck und zertrümmerte den Schweineverschlag und den Hühnerstall. Die Hühner wurden ins tosende Meer gewirbelt, das Schwein rutschte schreiend übers Deck und blieb mit gebrochenem Genick an der Reling hängen. Der Kapitän lehnte sich aus dem Ruderhäuschen, schrie ihr etwas zu. Sie sah die Mundbewegungen, verstand aber nichts. Der Lärm des Unwetters war ohrenbetäubend. Sie warf ihm durch den treibenden Regen einen widerspenstigen Blick zu und konzentrierte sich darauf, zu überleben.
    Ein Kälteschauer nach dem anderen durchlief sie, das Schiff tanzte wie ein Korken auf den Wellen, legte sich auf die Seite, dass ihr der verknotete Schal den Atem abdrückte. Der Lärm zerriss ihr fast den Kopf, eine haushohe Welle folgte der anderen, und alle waren kalt wie flüssiges Eis.
    Bald war sie sich nicht mehr sicher, ob sie sich unter oder über Wasser befand. Bis aufs Mark durchgefroren, hustend, nach Luft japsend, wünschte sie sich nur noch einen schnellen Tod. In ihrer Not schrie sie ein Gebet in den Wind.
    Und dann war es plötzlich vorbei. Es schien, als hätte sie der Sturm in letzter Sekunde ausgespuckt. Die Wellen gingen immer noch hoch, aber keine überflutete mehr das Deck, und das Schiff richtete sich al mählich wieder auf. Der Regen versiegte, auch der Orkan fiel in sich zusammen.
    Catherine hing wie eine ertrunkene Katze an ihrem Mast. Erst als sie die schwache Wär-92
    me der Wintersonne auf ihrer Haut spürte, wurde ihr bewusst, dass sie noch am Leben war, und öffnete die Augen.

    Die Carina war ein Trümmerhaufen. Die Aufbauten waren zerschlagen, alle Holzfasser, die an Deck festgezurrt gewesen waren, hatten sich losgerissen und ein großes Loch ins Ruderhaus gedrückt. Sie versuchte sich aufzurichten und musste feststellen, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Es war, als wären ihre Glieder zu Eis erstarrt. Schwer atmend kämpfte sie gegen ihre Schwäche, konnte aber ihre steifen Finger nicht dazu bringen, den Schal aufzuknoten. Plötzlich fühlte sie ein Paar raue Hände, der Schal löste sich, und sie wäre einfach aufs Deck gefallen, wenn der Kapitän sie nicht aufrecht gehalten hätte. Fest an seine durchnässte Uniformjacke gepresst, schleifte er sie zum Niedergang.
    »In Kapstadt gehen Sie von Bord. Ich wil Sie nicht wieder sehen. Sie haben mir nur Unglück gebracht. Außerdem habe ich mich entschlossen, die Küste hochzusegeln. Ich werde vorläufig nicht nach Deutschland zurückkehren.« Damit ließ er sie los.
    Ihre Beine, die gefühllos waren vor Kälte, gaben unter ihr nach, und sie stolperte gegen die Wand. Die Pranke des Kapitäns packte sie noch einmal, hob sie fast vom Boden hoch und setzte sie vor der Kabine ab.
    Wütend über ihre eigene Schwäche riss sie sich los, wrang ihre Kleidung aus, so gut es ging, und rüttelte an der Kabinentür. Vergeblich, ihre Finger gehorchten ihr noch immer nicht. Ungeduldig langte der Kapitän an ihr vorbei und stieß die Tür auf. Sie wankte hinein, zu erschöpft, sich mit dem Grobian erneut zu streiten, wollte sich nur noch auf ihre Koje legen und schlafen. Der Anblick aber, der sich ihr bot, ließ ihr das Blut in den Adern gerinnen.
    Césars Speer hatte sich aus seiner Halterung an der Kabinenwand gelöst, war auf ihre Koje heruntergefahren und stak mit zitterndem Schaft in ihrem Kopfkissen. Seine nadelscharfe, lange Spitze hätte ihr die Kehle durchbohrt, sie auf der Koje festgenagelt, wäre sie dem Befehl des Kapitäns gefolgt. Auf ein Geräusch hin fuhr sie herum.
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    Der Kapitän stand noch immer da und starrte an ihr vorbei auf

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