1 - Schatten im Wasser
Schwarze Haut, schwarze Augen, schwarzer Turban und ein voluminöses schwarzes Kleid.
»Ja«, bellte sie mit sonorer Stimme. Nur das eine Wort, ohne Fragezeichen.
»Mrs. Simmons?«, fragte Catherine arglos und erntete ein prustendes Schnauben und heftiges Kopfschütteln, das den üppigen Körper in bibbernde Schwingungen versetzte. Offenbar handelte es sich hier um so etwas wie die Hausdame, entschied Catherine und trug ihr Anliegen vor.
Sie erfuhr, dass sich Familie Simmons im Urlaub in ihrem Haus am Fuße des Wynberg Hil befand. »Ist es zu weit, um zu Fuß dorthin zu gehen?«, fragte sie. »Wie lange würde es dauern?«
»Ja«, beschied ihr die Hausdame und schloss die schwere Eingangstür.
Catherine starrte die geschnitzte Eichenholztür einen Moment lang enttäuscht an. Sie hatte so fest damit gerechnet, Mr. Simmons zu treffen, hatte gehofft, mit ihm, der ihn offenbar gekannt hatte, über ihren Vater sprechen zu können, um diese brennende Leere in ihrem Inneren zu füllen.
Außerdem wollte sie vorsichtig erfragen, welche Möglichkeiten es für eine junge, allein stehende Dame gab, sich an diesem entzückenden Ort niederzulassen. Langsam ging sie zum Gartentor und verweilte einen Moment vor einem üppig blühenden Protea- strauch, der im Windschutz des Hauses wuchs. Nektarvögel mit gegabelten Schwänzen umschwirrten die rosa glänzenden kindskopfgroßen Blüten. Einer ließ sich auf Armeslänge vor ihr nieder, und sie hatte Muße, ihn mit dem Auge einer Künstlerin zu studieren. Kopf und Kehle schil erten bei jeder Bewegung grün und blau, wie ein kostbarer Opal, die Flügeldecken zeigten tiefes Olivgrün, und seine Brust leuchtete in dem satten Ton einer reifen Orange.
Grünes Flirren, Opalglanz über silbrig
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rosa Samt. So würde sie die Vögel malen, in Öl, nicht als Aquarell. Nur die satten, glühenden Ölfarben würden diesen prächtigen Geschöpfen gerecht werden. Al mählich nahm das, was sie Salvatore Strassberg anbieten würde, Gestalt an. Wohlgemut lief sie auf die Straße.
Ein Windstoß blies ihr entgegen, und jetzt erst wurde sie gewahr, wie jämmerlich sie fror. Von ihr völlig unbemerkt war es mittlerweile später Nachmittag geworden, und der kräftige Wind hatte sich zu einem heftigen Brausen gesteigert, das schwarze Wolken über den Tafelberg trieb, sich in ihren Röcken fing und eine Kraft hatte, dass sie ernstlich befürchtete, hinweggeweht zu werden. Ihr Haarknoten löste sich auf, die Strähnen peitschten ihr ins Gesicht. Mehr als einmal musste sie sich an einen Zaun oder Baum klammern, so stark wurde der Druck des Sturms; sie hatte alle Hände voll zu tun, ihren Schutenhut und den Schirm festzuhalten. Wolken von Sand und rotem Staub fegten durch die Straße, puderten ihre Haare und knirschten ihr zwischen den Zähnen. Verstohlen spuckte sie aus. Sie hatte von diesen Stürmen gehört, die im Winter ums Kap heulten, aber nie damit gerechnet, dass um diese Zeit eine ganz unfrühlings- hafte Kälte herrschen könnte, die unangenehme Erinnerungen an den norddeutschen Spätherbst weckte.
Urplötzlich erfasste sie eine hinterhältige Bö, hob sie vom Boden und schleuderte sie über den Bürgersteig mit dem Kopf gegen eine Hauswand.
Sterne blitzten vor ihren Augen auf, und dröhnender Druck verschloss ihre Ohren. Als die Sterne sich verzogen, das Dröhnen abebbte, fand sie sich auf dem Boden wieder, ihre Beine rechts und links auf höchst unelegante Weise von sich gestreckt, ihr Rock war bis zur Wade hochgeschoben und entblößte ihre schlanken Fesseln. Ihr Hut hing ihr im Nacken, der Schirm sauste, vergnügte Purzelbäume schlagend, die Straße hinunter. Hastig streifte sie ihr Kleid wieder über die Beine und stand auf. Doch kaum hatte sie ihr rechtes Fußgelenk belastet, fiel sie mit einem Schmerzenslaut zurück. Ein wütender Teufel bearbeitete es mit glühenden Messern, so kam es ihr vor. In dem eng geschnürten Schuh schien der Fuß bereits zum 119
Bersten angeschwollen. »Hölle und Verdammnis«, knirschte sie ingrimmig.
»Wie bitte?«, fragte eine tiefe Stimme über ihr auf Deutsch.
Erschrocken flogen ihre Augen an zwei Beinen in blank geputzten Stiefeln hoch, über hellbeige Beinkleider zu einem dunkelbraunen Gehrock aus kräftiger Wolle. Ihr Blick glitt höher, sehr viel höher. Der Mann war ungewöhnlich groß. Dunkles, lockiges Haar hing lang über den hohen Kragen seines schneeweißen Hemdes, sein Gesicht war glatt rasiert, und etwas, vielleicht die Lachfaltchen um
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