1 - Schatten im Wasser
bereits seit Jahren Pflicht.« Catherine presste ihre Lippen zusammen, um nicht noch heftiger zu werden.
»Nur für Neugeborene«, murmelte Wilma. »Und außerdem waren mir etliche Leute bekannt, die trotz der Behandlung gestorben sind.«
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Auch Catherine waren solche Fälle bekannt. Sie zuckte die Schultern.
»Dann war es das erste Mal vielleicht nicht wirksam. Versuche doch, dich hier impfen zu lassen. Es wird sicher ein Krankenhaus oder zumindest einige Ärzte geben.« Sie kramte die letzten Pennys aus ihrer Börse und blieb vor einem älteren Schwarzen stehen, der vor dem mit Säulen und Türmchen verzierten Rathaus am Boden sitzend seine Früchte feilbot. Mit Bedacht wählte sie zwei samtig rote Pfirsiche aus.
»Einen Penny für beide, Ma'm«, erklärte der Mann. Er roch nach Bier, und seine Kleidung starrte vor Dreck, aber seine Augen blitzten fröhlich.
»Einen Penny?«, empörte sie sich vergnügt. »Das ist viel zu viel, hier, sehen Sie, dieser hat einen schwarzen Fleck, und der andere ist kleiner.
Einen halben Penny, und das für drei.« Auf den zahlreichen tropischen Märkten, die sie auf ihren Reisen besucht hatte, hatte sie die Kunst des Handelns perfektioniert.
»Madam, meine Kinder werden verhungern, ich werde mein Vieh und meine Frau nicht mehr füttern können. Wer soll dann auf meinen Feldern arbeiten? Ich werde nichts mehr zu essen haben und früh sterben«, entgegnete der alte Schwarze in einem Kauderwelsch aus gebrochenem Englisch und Holländisch. Dabei zog er ein dramatisches Gesicht.
»Einen halben Penny, nicht mehr.« Sie verbarg ein Lächeln, legte die Pfirsiche zurück und tat, als wolle sie sich abwenden.
»Gut, gut, einen halben Penny, weil Sie das sind, aber für zwei, nicht für drei.« Er warf in einer Geste des Aufgebens seine knochigen Arme in die Luft.
»Abgemacht«, sagte Catherine. »Aber ich möchte die zwei größten haben.«
»Ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Madam. Ich bin der alte Moses, und Sie finden mich jeden Tag hier«, grinste der Alte, zeigte seinen zahnlosen Gaumen und reichte ihr die Früchte.
»Der Preis war immer noch zu gut«, giftete Wilma.
»Kann sein, aber der arme Kerl muss ja auch leben. Hier, hoffentlich findet der Gnade vor deinen Augen.« Catherine gab ihr 114
einen der Pfirsiche und biss in den anderen. Er war der süßeste, den sie je gekostet hatte. Kapstadt musste ein wunderbares Klima haben, um solche Früchte hervorbringen zu können. Kauend schlängelte sie sich durch die Menschenmenge in Richtung der Adderley Street. »Ich habe Hunger, lass uns zurück ins Gästehaus gehen«, rief sie über ihre Schulter.
Nach dem Abendessen, es gab Kerri-Kerri, Reis mit gebratenen Hammelstückchen in einer duftenden Soße, die mit Tamarind, Ingwer und anderen fremdartigen Gewürzen abgeschmeckt war, gingen sie auf ihr Zimmer.
»Ich mach mich schon fürs Bett fertig. Ich bin furchtbar müde«, verkündete Wilma und knöpfte ihre Jacke auf.
Catherine verspürte überhaupt keine Schläfrigkeit, stand noch lange am Fenster und schaute hinunter auf die Straße, die zu ihrem Erstaunen zwar spärlich, aber doch schon mit Gaslampen beleuchtet war. »Wie gefällt dir Kapstadt?«, fragte sie in den Raum.
»Du hast es doch selbst gesagt. Es ist dreckig und stinkend wie alle Hafenstädte und voll mit Betrunkenen«, brummte Wilma.
Catherine wurde zornig. »Siehst du nicht, welch ein lebhaftes Treiben hier herrscht? Die Menschen erscheinen al e jung und fröhlich. Es liegt etwas Prickelndes in der Luft, mein Herz schlägt hier schneller.« Sie suchte nach Worten. »Selbst über dem Al täglichen liegt ein Glanz, und hast du nicht bemerkt, dass die Menschen hier viel mehr lächeln als in Deutschland? Sogar die Eingeborenen scheinen mir sehr freundlich zu sein.«
Wilma brummte wieder und zog sich die dünne Bettdecke bis zum Kinn.
Wie aufgebahrt lag sie da. Ihr Pfirsich lag unangebis- sen auf dem Nachttischchen.
Catherine beschloss, sich von ihr nicht mehr die Laune verderben zu lassen. Schweigend zog sie sich aus, löschte ihre Kerze und legte sich wohlgemut ins Bett, in ein richtiges Bett, das nicht unter ihr schwankte. Vor ihrem inneren Auge zog noch einmal der Tag vorbei, und sie freute sich auf den Morgen, vergaß für kurze Zeit, dass sie nun allein auf der Welt war und ihre Zukunft mehr als ungewiss.
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Sie richteten sich im Good Hope Guesthouse ein, so gut es ging, aber das Zimmer war eng und dunkel, und Wilma ging ihr
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