1 - Schatten im Wasser
heißen Tees fror sie wieder.
»Noch einmal überlebe ich eine Schiffsreise nicht«, antwortete ihre Gesellschafterin mit einer hilflosen Geste. »Ich werde also, zumindest vorläufig, hier bleiben müssen.« Sie rührte ihren Fisch nicht an, sondern kaute auf einer Süßkartoffel herum.
Catherine legte ihre Gabel nieder und gab sich einen Ruck. »Es gibt ein Problem, Wilma, ich werde dir nicht viel länger dein Gehalt bezahlen können. Du musst dich hier nach einer neuen Anstellung umsehen. Es tut mir so Leid«, fügte sie leise hinzu, als sie das zutiefst erschrockene Gesicht der anderen Frau bemerkte. »Es wird keine Schwierigkeit für dich sein, eine Stellung als Gesellschafterin oder Gouvernante zu finden. Du hast doch 124
bemerkt, dass es hier durchaus zivilisierte Menschen gibt, und die herrlichen Häuser lassen darauf schließen, dass es ihnen wirtschaftlich gut geht. Sie werden dir gutes Geld zahlen können, und wir werden uns häufig sehen, ich versprech's.«
Wilma war bleich geworden und schwieg mit zusammengekniffenen Lippen, und beide beendeten ihre Mahlzeit, ohne ein weiteres Wort zu wechseln. Catherine legte sich bald darauf zur Ruhe, nicht ohne die verordnete Menge Laudanum zu nehmen. Das Mittel würde nicht nur ihre Schmerzen betäuben, sondern ihr auch erlauben, ihren Sorgen in den Schlaf zu entfliehen. Im Halbschlaf dann spürte sie zu ihrer Erleichterung, wie Wilma
neben ihr unter die Decke kroch.
*
»Fräulein le Roux, erlauben Sie, dass Ihnen Sicelo den Saft einer besonderen Pflanze auf Ihren Knöchel aufträgt? Es ist ein Rezept der Zulus. Es wird nicht wehtun, es kühlt, aber das ist bei dieser Art Verletzungen sehr erwünscht.« Johann Steinach, seinen Hut unter den Arm geklemmt, drückte ihr ein entzückendes Sträußchen Rosenknospen, die mit einer weißen Atlasschleife gebunden waren, in die Hand. Er hatte sie bei Bekannten im Garten gepflückt, und die Hausfrau hatte die Schleife gespendet.
Catherine nahm den Strauß lächelnd entgegen. »Ist Sicelo denn Arzt?«, erkundigte sie sich neugierig und vergrub ihre Nase in den duftenden rosa Blüten.
»Nicht in unserem europäischen Sinne, nein. Er hat nie eine Schule besucht, er weiß nur das, was ihn seine Mutter lehrte, die es wiederum von ihrem Vater und Großvater lernte, die alle Inyangas waren. Heiler, die für jede Krankheit ein Kraut kennen. Ich selbst nehme seine Dienste öfter in Anspruch, denn europäische Ärzte sind dünn gesät in Durban, und in Zululand gibt es gar keine.« Johann Steinach lächelte mit kräftigen weißen Zähnen.
Catherine stimmte der Behandlung neugierig zu. Wilma zog die Mundwinkel herunter und beobachtete Sicelo mit Misstrauen und Ablehnung.
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Der streifte die Gouvernante mit einem hochmütigen Blick, dann nahm er zwei lanzenförmige, fleischige Blätter, an deren Längsseiten Dornen wie Sägezähne saßen, aus einem Beutel, brach sie auf und schabte mit einer Messerklinge den zartgelben, geleeartigen Saft auf einen Teller.
»Was ist das?«, fragte Catherine, während sie die schlanken, geschickten Hände des großen Zulus bewunderte.
»Die Blätter der Kap Aloe«, antwortete Johann Steinach. »Sie heilt alles, von Gicht über Prellungen bis zu Verstopfungen, je nachdem, ob man sie einnimmt oder auf die Haut schmiert. Bei Verstopfung des Darmes schluckt man ein pfefferkorngroßes Kügelchen des getrockneten Safts vom äußeren Blatt, fi r Arthritis die Hälfte. Einen verstauchten Fuß jedoch behandelt man, indem man den Saft aus dem Herzen des Blattes dick auf das Gelenk aufträgt und es mit einem feuchten Tuch umwickelt.« Er lächelte. »Darf ich?« Er zeigte auf ihren bloßen Fuß, sie nickte und streckte ihn ihm entgegen. Wilma schnaubte empört.
Catherine ignorierte sie. Seine Finger kitzelten, als er sanft das Gelee auf ihre Haut strich. Das Handtuch, das er neben der Waschschüssel fand, tauchte er in Wasser, wrang es aus und wickelte es geschickt um ihr Gelenk. Es war kühl und angenehm, und der stechende Schmerz schien tatsächlich nachzulassen. »Danke«, lächelte sie zu ihm hinauf und reichte ihm die Hand. Zu ihrem Erstaunen spürte sie, dass seine zitterte, maß dem aber keine Bedeutung bei.
Catherines Fuß schwoll alsbald ab. Johann Steinach erschien Tag für Tag, brachte mal Blumen mit, mal frisches Obst oder Konfekt, das, wie er erklärte, die holländische Bäckerei in einer der schmalen Nebenstraßen der Adderley Street herstellte. Er stützte sie auch bei ihren ersten
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