1 - Schatten im Wasser
seine warmen, braunen Augen und die langen Grübchen, die den kräftigen Mund einrahmten, ließ sie Vertrauen fassen.
»Ich glaube, ich habe mir den Fuß vertreten, er wil mich nicht tragen«, sagte sie und verbiss sich jede Äußerung des Schmerzes.
»Lassen Sie mich Ihnen helfen, gnädiges Fräulein«, sagte der Mann und trat neben sie. »Darf ich?« Sein Deutsch war eindeutig bayerisch gefärbt.
Es klang gemütlich, nach Kachelofen und frisch gebackenem Brot.
Zuverlässig und bodenständig.
Auf ihr erst zögerliches, dann zustimmendes Nicken hin hob er sie mit sanftem Griff so leicht hoch, als wäre sie ein Kind. Ihr Gesicht lag an dem rauen Stoff seines Rocks. Er roch ein wenig muffig, nach Mottenkugeln und Schrank, als würde er nicht häufig getragen. Sie sah zu dem Mann auf. Der Wind blies ihm seine braunen Haare in die Stirn. Es gab ihm ein jungenhaftes Aussehen, das ihr gefiel, obwohl er schon älter sein musste.
Ende zwanzig, vielleicht sogar schon dreißig. Behutsam stellte er sie auf die Füße, doch sie wagte nicht, den rechten zu belasten. Auf einem Bein stehend, lehnte sie Halt suchend mit dem Rücken an einer Hauswand.
»Gestatten«, sagte der Mann nun, nahm seinen Hut ab und machte eine artige Verbeugung. »Mein Name ist Johann Steinach. Darf ich Ihnen anbieten, Sie nach Hause zu geleiten? Sie werden so sicherlich nicht weit kommen, und es wird bald dunkel sein.« Er reichte ihr die Hand, und sie legte ihre hinein.
»Ich heiße Catherine le Roux.« Seine Hand war braun gebrannt und kräftig, und sie spürte die Schwielen ihrer Innenflä-
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chen. Ein Mann, der viel mit seinen Händen arbeitete, der zupacken konnte. Ein einfacher Bauer? Dafür erschienen ihr seine Manieren zu angenehm.
Johann Steinach zuckte bei der Berührung ihrer kühlen Finger heftig zusammen, als seien sie von rot glühendem Eisen. Er sah auf sie hinunter.
Nussiger Duft von heißer Haut, kirschsüße Lippen, die warme Flut seidiger Haare, Augen so blau wie die Kornblumen seiner Heimat. Kopfüber stürzte er in diesen Strudel, ließ sich wil ig hinunterziehen, wusste, dass er bereits rettungslos verloren war. Er hatte gefunden, was er so lange gesucht hatte.
»Dunkel?«, rief Catherine jetzt und schaute bestürzt um sich. Sie zog ihre Hand zurück, um ihre flatternden Locken zu zähmen. Wie ein Vorhang verdunkelte die Nacht bereits das Tafelbergmassiv, sturmgetriebene schwarze Wolken fegten übers Meer, die schemenhaft leuchtende, weiße Sonnenscheibe stand schon tief über dem Horizont. In einer halben Stunde würde es stockfinster sein. »So spät ist es schon? Wie ist nur dieser Nachmittag vergangen?« Sie lächelte den Fremden an und neigte dabei zustimmend den Kopf. »Ich wäre Ihnen wirklich sehr verbunden. Mir war nicht bewusst, dass die Sonne gleich untergehen wird.«
Ihre Worte holten Johann Steinach zurück, erlaubten ihm ein paar kostbare Sekunden, sich zu fassen. Er stieß einen kurzen Pfiff aus.
»Sicelo!«, rief er, und wenig später erschien ein hoch gewachsener Schwarzer, angetan mit knielangen Hosen und einem engen Wams, beides aus verwaschener schwarzer Wolle. Er führte ein großrahmiges Pferd am Zügel.
»Guten Tag«, grüßte Catherine den Mann höflich auf Englisch, wobei sie immer noch auf einem Bein balancierte. Der aber sah mit ausdrucksloser Miene an ihr vorbei und antwortete nicht.
Johann Steinach prüfte die Sattelgurte. »Sicelo ist Zulu. Er spricht keine unserer Sprachen.« Den Kragen werde ich dir umdrehen, wenn du dich meiner zukünftigen Frau gegenüber nicht angemessen benimmst, versprach er seinem Freund schweigend.
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»Zulu?« Sie musterte den Mann neugierig. Er sah gut aus. Sein klar geschnittenes Gesicht mit den vollen Lippen und ausdrucksvollen dunklen Augen erinnerte an das eines Pharaos.
»Die Zulus bilden den mächtigsten und größten Eingeborenenstamm im südlichen Afrika. Ihr Land grenzt nördlich an die Provinz Natal. Dort, jenseits des Tugelaflusses, liegt auch meine Farm«, setzte er hinzu, als er ihr fragendes Gesicht bemerkte.
Sie hörte den Stolz in seiner Stimme, als er sein Eigentum erwähnte, wollte höflich nachfragen, aber er hatte sie schon vorsichtig untergefasst, um ihr zum Pferd zu helfen. Der Schmerz, der dabei durch ihr Fußgelenk schoss, nahm ihr den Atem. Gleich darauf fand sie sich im Damensitz auf dem Rücken seines Pferdes wieder. Nur mit Mühe vermochte sie in dem Sturm ihren Rock zu bändigen.
»Sitzen Sie gut? Schmerzt es noch sehr?«
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