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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Gesellschaft. Ich muss Ihre Geschichte bis zu Ende hören.
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    Ich bin vor Spannung ganz atemlos.« Sie führte ihn in den schummrigen Salon des Hauses, in dem schon mehrere Gäste an kleinen runden Tischen ihren Tee tranken, und strebte zum Fenster, wo gerade etwas frei geworden war. Zu ihrer stil en Freude verkündete Wilma, ihren Tee oben im Zimmer trinken zu wollen. Auf ihre Bitte bestellte Johann Steinach zwei Tees und Sandwiches bei dem verdrossen aussehenden schwarzen Mädchen. Froh, endlich das Gewicht von ihrem Fuß nehmen zu können, sank Catherine auf den zierlichen Stuhl, den er ihr zurechtrückte. »Wo liegt Ihr Schiff heute? In Durban?«
    »Nein. 1844 geriet ich mit dem Segler in einen Sturm nördlich von Port Natal und lief auf ein dicht unter der Wasseroberfläche liegendes Riff auf.
    Ich wurde von Bord gespült, von der Brandung immer wieder gegen die scharfen Felsen geworfen. Irgendwann schleuderte mich eine besonders hohe Woge an den Strand, und ich schaffte es, mich hinaufzuziehen, dorthin, wo das Wasser mich nicht mehr erreichen konnte.« Einen Augenblick starrte er blicklos vor sich hin, und Catherine sah, dass er weit in der Vergangenheit weilte.
    »Mein Schiff brach vor meinen Augen auseinander und sank«, flüsterte er rau, »ich besaß nichts mehr bis auf eine zerlöcherte Hose und war am Ende meiner Kräfte. Verzweifelt suchte ich nach meiner Besatzung, aber ich habe keinen je wieder gesehen. Sie sind wohl alle ertrunken.«
    Catherine konnte ihn vor sich sehen, blutend, halb tot und völlig allein in diesem feindlichen Land. »Und dann?«, fragte sie atemlos.
    »Ich schlief vor Erschöpfung ein, obwohl ich dagegen ankämpfte, denn ich hatte in Kapstadt schlimme Geschichten von den schwarzen Wilden gehört, den Zulus, die diese Küste bevölkerten, außerdem befürchtete ich, von Menschen fressenden Löwen und Leoparden angegriffen zu werden, die dort in großer Zahl herumstreifen sollten. Aber ich konnte mich einfach nicht wach halten. Wie lange ich schlief, weiß ich nicht, aber es war schon heller Tag, und als ich aufwachte, fand ich Fußspuren.« Seine Stimme verklang. Ein Gecko keckerte hinter einem Bild an 131
    der Wand, die anderen Gäste unterhielten sich gedämpft, Porzellan klirrte.
    Das Mädchen brachte den Tee, und Catherine bemerkte mit Missbil igung, wie fleckig ihr weißes Häubchen und die gestreifte Schürze waren, die sie über ihrem schwarzen Kleid trug.
    Johann schien seine Umgebung nicht mehr wahrzunehmen. »Es waren menschliche Fußspuren«, sagte er leise. »Ich wagte nicht, mich zu rühren, ich glaubte einer Übermacht gegenüberzustehen.« Ein Lächeln der Erinnerung saß in seinen Mundwinkeln, als er weitersprach. »Plötzlich hörte ich ein Kichern und entdeckte einen Jungen, der auf einem angeschwemmten Baumstamm wenige Schritte von mir entfernt saß. Er war nackt, trug nur die Schwänze von ein paar Wildkatzen als Schurz. Ich schätzte ihn auf ungefähr sechzehn Jahre und erkannte schnell, dass er keine feindlichen Absichten hegte, sondern mich nur mit ebenso großer Neugier beobachtete wie ich ihn. Sein Name war Sicelo, und er war ein Ibhungu, ein junger Mann. Wir verständigten uns mit Zeichensprache, denn ich verstand seine Sprache nicht und er auch nicht meine. Mit Gesten erklärte er mir, dass die Flut mich im Schlaf überrascht und er mich darauf höher auf den Strand gezogen hatte. Später, als wir uns länger kannten, sagte er mir, dass er noch nie einen weißen Mann aus der Nähe gesehen hatte und anfanglich glaubte, dass unsere weiße Haut glitschig und kalt sein müsse wie die eines Fisches. Nach und nach erfuhr ich, dass er zum Hof des großen Zulukönigs Mpande gehörte. Er war mit anderen jungen Männern auf der Jagd gewesen, war von ihnen getrennt worden, hatte sich im Busch verirrt und fand sich plötzlich, als er aus den Schatten des Küstenbuschs heraustrat, am Strand. Er ruhte sich gerade vor dem langen Rückweg aus, als ich ihm vor die Füße geschwemmt wurde.«
    Wilma kam die Treppe herunter und sah Johann Steinach streng an. »Es wird bald Abendessen geben«, blaffte sie, wobei sie Catherines aufgebrachte Miene ignorierte.
    Er stand sofort auf. »Natürlich, ich verstehe. Es ist Zeit, dass ich mich verabschiede.«
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    Catherine reichte ihm ihre Hand und erwartete einen artigen Handkuss, aber er verabschiedete sich mit einem kräftigen Händedruck, einer steifen Verbeugung und einem langen, tiefen Blick in ihre Augen. »Die Zeit ist mir

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