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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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entdeckte ich, dass mir wenigstens Hammer und Säge geblieben waren, die ich am Sattel befestigt hatte. Unser Leben war gerettet, und das Gewehr würde für Nahrung sorgen, aber sonst besaß ich nicht mehr als das, was ich auf dem Leib trug. Ich war sehr niedergeschlagen. Dann, einige Tage später, in einer Biegung des Umfolozi, hörte ich Schreie, menschliche Schreie.«
    Er machte eine Pause, wie es jeder gute Geschichtenerzähler getan hätte, und die Kinder japsten vor Spannung. »Ich zügelte mein Pferd und lauschte«, flüsterte er. »Der Fluss rauschte, die Ilalapalmen raschelten im Wind, ein Steppenbussard rief. Und dann hörte ich es wieder. Ein Mensch schrie. Ein Mensch in höchster Not. Vorsichtig führte ich mein Pferd ans Ufer und saß ab. Ich musste mich weit vorbeugen, ehe ich ihn entdeckte.
    Ein Junge, nackt bis auf ein paar Kuhschwänze, hing bäuchlings über dem untersten Ast einer knorrigen Sylcamorefeige, in der Faust hielt er den Stab eines Rinderhirten und versuchte einen Leoparden abzuwehren, der am Stamm hochgereckt stand und mit der Vorderpranke nach ihm schlug. Es fehlte nur noch eine Handbreit zwischen den gebogenen Krallen und den Waden des Jungen, und der Abstand wurde mit jedem Schlag kürzer. Ich sprang vom Pferd, warf Sicelo die Zügel zu und rannte zum Fluss.«
    Im Raum herrschte Totenstil e, jeder schien den Atem angehalten zu haben. Die Gesichter der Kinder spiegelten pures Entsetzen wider. Johann hatte seine Zuhörer vollkommen in Bann geschlagen.
    »Blitzschnell riss ich meine Elefantenbüchse hoch, lud sie und tötete den Leoparden mit einem Schuss. Der Junge glitt vom Baum herunter, untersuchte die tote Raubkatze und richtete sich dann auf. Er musste etwa dreizehn oder vierzehn Jahre sein, ein gut gebauter, muskulöser Junge mit glänzend schwarzbrauner Haut, eben an der Schwelle zum Mannesalter. Er stand
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    sehr gerade, seine Schultern gestrafft, sein Kopf stolz erhoben, und sah mir geradewegs in die Augen. >Yabonga ghakulu<, sagte er. Das heißt
    >größten Dank«, erklärte der Bayer seinen gebannten Zuhörern.

    »Mittlerweile sprach ich durch den Umgang mit Sicelo seine Sprache so gut, dass wir uns verständigen konnten. Gemeinsam hievten wir den toten Leoparden aufs Pferd und folgten dem Jungen tief in den Busch. Nach zwei oder drei Stunden erreichten wir am späten Nachmittag ein Umuzi, einen Kraal, von immensen Ausmaßen, der die flache Kuppe des größten Hügels bedeckte, eine riesige, runde Anlage, umzäunt von dichten Palisaden. Weit über hundert Bienenkorbhütten standen in drei Reihen entlang des äußeren Zauns. So.« Johann malte einen großen Kreis aufs Tischtuch und innen lauter Kringel, die die Hütten darstellen sollten. »Auf der Stirnseite, gegenüber des einzigen Eingangs, lagen abgezäunt weitaus größere Hütten. Der Junge führte uns bis zu diesem Zaun und bedeutete uns, dass wir warten sollten. Dann verschwand er. Noch immer wusste ich nicht, wer er wirklich war.«
    Es dauerte ziemlich lange, bevor der junge Zulu wieder auftauchte und ihn mit einer Handbewegung aufforderte, ihm zu folgen. Sicelo befahl er zu warten. Den Weißen führte er zu einem künstlich aufgeworfenen Hügel neben der größten Hütte, auf dem, in einem kunstvoll geschnitzten Thronstuhl, ein unglaublich beleibter Zulu saß. Seine Fettmassen quollen durch die Löcher der Schnitzereien. Bis auf mehrere Perlenschnüre, die sich um seine Lenden wanden, und einen Perlenkragen, der auf den fettglänzenden Schultern lag, war er nackt. Auf dem Kopf trug er einen ebenholzschwarzen, mit Federn geschmückten Kopfring. Eine junge Frau reichte ihm auf Knien eine ausgehöhlte Kalebasse mit schäumendem Bier, und ein Diener schützte ihn mit einem mannshohen, fellbezogenen Zuluschild, der an einem Stiel befestigt war, vor der stechenden Sonne.
    »Es verschlug mir glatt den Atem, als mir klar wurde, dass ich vor Mpande, dem Herrscher der Zulus, Halbbruder der legendären Zulukönige Shaka Zulu und Dingane, stand«, berichtete Johann. »Ich hatte Sipho, den ersten Sohn von Mpandes Lieb
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    lingsfrau, gerettet.« Er hielt inne und warf einen verstohlenen Blick auf seine Taschenuhr, die er an einer Kette an seiner Weste trug. Es ging bereits auf sechs Uhr zu. Die Teezeit war vorbei, und es würde bald Nacht werden. Es war Zeit, sich zu verabschieden.
    Doch Adam Simmons, der die Geste gesehen hatte, hob die Hand.
    »Bitte bringen Sie Ihre Geschichte zu Ende. Ich bin sicher, dass weder Catherine

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