Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
hatten, blitzte nun Schrecken auf.
    »Ich komme doch wieder.« Um Fragen auszuweichen, ging er eilig zur Tür.
    »Maxim! Maxim, warte!«
    Nahtlos ging Lena von ihrer Standpauke zu eindringlichem Bitten über. Sie stürzte hinter ihm her, fasste nach seiner Hand, sah ihm in die Augen, eine bedauernswerte, unterwürfige Frau.
    »Verzeih mir, verzeih mir doch, das alles hat mir einen tüchtigen Schrecken eingejagt! Verzeih mir, Maxim, ich habe nur Dummheiten von mir gegeben!«
    Er betrachtete seine Frau, die plötzlich jede Aggressivität verloren hatte, kapitulierte, zu allem bereit war, wenn nur er, dieser dumme elende Schürzenjäger, nicht die Wohnung verließ. Ob in seiner Miene etwas lag, das Lena weit stärker erschreckte als der Bandenkrieg, in den sie hineingeraten waren?
    »Ich lass dich nicht gehen! Nirgendwohin! Nicht so spät abends …«
    »Mir wird nichts passieren«, sagte Maxim sanft. »Schrei nicht so, du weckst sonst die Kinder. Ich bin ja bald wieder da.«
    »Wenn du schon nicht an dich denkst, dann denk wenigstens an die Kinder! An mich!« Im Nu änderte Lena die Taktik. »Und wenn sie sich das Kennzeichen gemerkt haben? Wenn sie hier auftauchen, um diese Nutte zu suchen? Was soll ich dann machen?«
    »Niemand wird hier auftauchen.« Aus irgendeinem Grund wusste Maxim, dass das stimmte. »Und wenn doch – die Tür ist sicher. Wen du anrufen musst, weißt du. Lena, lass mich durch.«
    Seine Frau baute sich quer vor der Tür auf, breitete die Arme aus, legte den Kopf zurück und kniff die Augen zu, als erwarte sie, dass er sie gleich schlagen werde.
    Maxim gab ihr behutsam einen Kuss auf die Wange und zog sie zur Seite. Unter ihrem völlig verstörten Blick ging er in die Diele hinaus. Aus dem Zimmer seiner Tochter erklang unangenehme, dröhnende Musik – sie schlief nicht, hatte den Kassettenrecorder eingestellt, einfach nur, um ihre bösen Stimmen zu übertönen. Lenas Stimme.
    »Geh nicht!«, flüsterte seine Frau ihm bittend hinterher.
    Er warf sich die Jacke über, überprüfte kurz, ob alles Nötige in seiner Innentasche steckte.
    »An uns denkst du überhaupt nicht!«, brachte Lena mit gepresster Stimme hervor, träge, im Grunde ohne jede Hoffnung. Die Musik im Zimmer seiner Tochter wurde lauter.
    »Das stimmt nicht«, entgegnete Maxim ruhig. »Ich denke nur an euch. Passe auf euch auf.«
    Er war bereits einen Stock hinuntergestürzt – auf den Fahrstuhl hatte er nicht warten wollen –, als er den Schrei seiner Frau hörte. Der ihn überraschte. Sie trug einen Streit nicht gern außerhalb der eigenen vier Wände aus und hatte ihm noch nie eine Szene im Hauseingang gemacht.
    »Du solltest uns besser lieben, statt auf uns aufzupassen!«
    Maxim zuckte mit den Schultern und lief noch schneller. Hier hatte ich gestanden, im Winter.
    Alles war genau wie damals, der dunkle Tordurchgang, das schwache Licht der Straßenlaternen. Nur viel kälter war es gewesen. Und alles hatte so einfach und klar ausgesehen wie für einen jungen amerikanischen Polizisten, der seine erste Streife läuft.
    Das Gesetz verteidigen. Das Böse verfolgen. Die Unschuldigen beschützen.
    Wie schön es wäre, wenn immer alles so klar und einfach wäre wie mit zwölf oder mit zwanzig Jahren. Wenn es in der Welt wirklich nur zwei Farben gäbe: Schwarz und Weiß. Doch selbst der anständigste und treuherzigste Polizist, erzogen nach den vollmundigen Idealen des Stars-and-Stripes-Banners, kam früher oder später dahinter: In den Straßen gibt es nicht nur das Dunkel und das Licht. Es gibt Vereinbarungen, Kompromisse, Abkommen. Informanten, Fallen, Provokationen. Früher oder später muss man seine eigenen Leute ausliefern, Heroinpäckchen in fremde Taschen schmuggeln, jemanden in die Nieren schlagen, aber sorgfältig, damit keine Spuren zurückbleiben.
    Und all das um jener ganz einfachen Regeln willen.
    Um das Gesetz zu verteidigen. Das Böse zu verfolgen. Die Unschuldigen zu beschützen.
    Diese Lektion habe auch ich lernen müssen.
    Ich lief den engen Mauerschlauch entlang, spießte mit dem Bein einen Zeitungsfetzen auf, der an der Wand lag. Hier war der unglückselige Vampir zu Staub zerfallen. Er war wirklich unglückselig, denn seine einzige Schuld bestand darin, sich zu verlieben. Nicht in eine Vampirin, nicht in eine Frau, sondern in sein Opfer, seine Beute.
    Hier hatte ich den Wodka verspritzt, der das Gesicht der Frau verbrannt hatte, die wir, die Wächter der Nacht, den Vampiren als Nahrung geliefert hatten.
    Wie gern

Weitere Kostenlose Bücher