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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Anwesenden etwas über den Wilden weiß, und versuche, Zeit zu schinden?
    Schon eher.
    Der Ring zieht sich zusammen, das ist mir klar. Er ist am Stadtrand geschlossen worden, am Autobahnring, dann wurde die Stadt in Bezirke unterteilt und von den Hauptverkehrsstraßen abgeschnitten. Noch reicht die Zeit, um ins nahe gelegene, nicht durchkämmte Umland zu fliehen, einen Unterschlupf zu suchen und unterzutauchen. Einen einzigen Rat hatte der Chef mir gegeben: durchhalten und auf Zeit spielen, während die Nachtwache alles daran setzt, den Wilden zu finden.
    Du lockst mich doch nicht zufällig in den Bezirk, in dem es im Winter zu unserm kleinen Handgemenge gekommen ist, oder? Ich kann es nicht vergessen, werde also auf die eine oder andere Weise unter dem Einfluss meiner Erinnerungen handeln.
    Die Plattform war inzwischen leer. Völlig. Die letzten Besucher waren davongeeilt, Personal gab es auch nicht – nur der von mir rekrutierte Mann stand an der Treppe, hielt die Pistole fest in der Hand und schaute mit glühendem Blick nach unten.
    »Ziehen wir uns wieder um«, befahl ich. »Nimm die Dankbarkeit des Lichts entgegen. Danach wirst du alles vergessen, worüber wir gesprochen haben. Du gehst nach Hause. Erinnerst dich nur noch daran, dass dies ein völlig normaler Tag war, genau wie gestern. Ohne besondere Vorkommnisse.«
    »Ohne besondere Vorkommnisse«, echote der Wachmann sofort, während er aus meinen Sachen schlüpfte. Die Menschen sind leicht zum Licht oder zum Dunkel zu bringen, aber am glücklichsten sind sie, wenn man sie einfach sie selbst sein lässt.

Sechs
    Sobald ich aus dem Turm herauskam, hielt ich inne und steckte die Hände in die Taschen. Im Stehen schaute ich mir die gen Himmel gerichteten Scheinwerferstrahlen an, die beleuchtete Bude an der Eingangskontrolle.
    Nur zwei Punkte verstand ich nicht in diesem Spiel, das die Wachen trieben, genauer gesagt, die Leitungen der Wachen.
    Der ins Zwielicht Entschwundene – wer war er, auf wessen Seite stand er? Wollte er mich warnen oder täuschen?
    Und Jegor? Hatten wir uns zufällig getroffen oder nicht? Falls nicht, was war es dann, ein Knoten des Schicksals oder nur ein Zug Sebulons?
    Über die Bewohner des Zwielichts wusste ich so gut wie nichts. Vielleicht wusste noch nicht einmal Geser etwas über sie.
    Über Jegor dagegen konnte ich nachdenken.
    Bei ihm handelte es sich um eine Karte, die noch nicht ausgeteilt worden war. Obwohl von niedrigem Wert, blieb er ein Trumpf, so wie wir alle. Und auch auf die kleinen Trümpfe kann man nicht ohne weiteres verzichten. Jegor war bereits ins Zwielicht eingetreten, das erste Mal, als er versucht hatte, mich zu sehen, das zweite Mal, um sich vor der Vampirin zu retten. Keine gute Ausgangsposition, ehrlich gesagt. Beide Male hatte ihn Angst geleitet, was bedeutete, dass seine Zukunft schon fast entschieden war.
    Ein paar Jahre konnte er sich noch auf der Grenze zwischen einem Menschen und einem Anderen halten, aber sein Weg würde zu den Dunklen führen.
    Der Wahrheit sieht man besser ins Auge.
    Wahrscheinlich würde er ein Dunkler. Und es spielt keine Rolle, dass Jegor bisher ein ganz normaler lieber Junge gewesen ist. Wenn ich das hier überlebe, muss ich irgendwann seine Papiere verlangen oder meine vorlegen, wenn wir uns begegnen.
    Vermutlich kann Sebulon ihn manipulieren. Ihn an einen Ort treiben, an dem ich mich befinde. Was den Gedanken nahe legt, dass er meinen Standort aufs Beste spüren kann. Doch damit rechne ich ohnehin.
    Doch hatte unsere »zufällige« Begegnung einen Sinn?
    Ja, wenn ich mir die Aussage des Operators vor Augen halte: Der Bezirk um die Metrostation »Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft« war noch nicht durchkämmt. Könnte mich da nicht der irrsinnige Gedanke packen, den Jungen zu benutzen, mich bei ihm zu Hause zu verstecken oder ihn um Hilfe zu rufen? Könnte ich da nicht zu ihm gehen?
    Nein, zu kompliziert. Viel zu kompliziert. Man hätte mich sowieso leicht fassen können. Irgendwas hatte ich übersehen, irgendwas überaus Wichtiges.
    Ich ging Richtung Straße, ohne noch einmal auf den Fernsehturm zu schauen, der heute den getürkten Stab der Dunklen beherbergte, vergaß fast den verkrüppelten Körper des wachhabenden Magiers, der jetzt irgendwo am Fuße des Turms lag. Was wollten die von mir? Was? Fangen wir mal damit an.
    Ich sollte den Köder abgeben. Der Tagwache in die Hände fallen. Und zwar auf eine Weise, die keine Zweifel an meiner Schuld ließ; was

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