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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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sollen. Statt wie ein Wolf Geser und Olga samt ihrer hämischen Wahrheit im Auge zu behalten, hätte ich auf meiner bestehen sollen. Und nie, niemals daran denken dürfen, dass ich nicht siegen kann.
    Du brauchst diesen Gedanken nur aufkommen zu lassen – und schon hast du verloren.
     
Wen trifft die Schuld und woran liegt, 
    Dass der betrügt und der nichts kriegt?
    Der ist verliebt und der betrübt, 
    Der ist ein Narr, der bringt Gefahr.
    Und wer ist schuld, dass jedes Jahr
    Dein Leben nichts als Warten war?
    Der Tag ist schwer, die Nacht ist leer, 
    Und warme Plätzchen gibt’s nicht mehr …
    Der Ton verstummt, das Licht wird fahl, 
    Und jedes Mal kommt neue Qual, 
    Und wenn dein Schmerz allmählich nachlässt –
     
    Ist das nächste Unglück nicht mehr weit.
    Wen trifft die Schuld, dass weit und breit
    Kein Glück gedeiht und auch kein Leid, 
    Kein Sieg und keine Niederlage, 
    Erfolg und Scheitern sind in Waage, 
    Und wem ist wohl die Schuld zu geben, 
    Dass du allein bist und dein Leben
    So trostlos ist und nur besteht
    Aus Zeit – bis es zu Ende geht … 
     
    »Das nun nicht gerade«, flüsterte ich und zog die Kopfhörer heraus. »Darauf braucht ihr nicht zu warten.«
    Man hatte uns so lange gelehrt zu geben, ohne im Gegenzug etwas zu nehmen. Sich um anderer willen zu opfern. Jeder Schritt wie ins Maschinengewehrfeuer, jeder Blick gütig und weise, kein einziger sinnloser Gedanke, keine einzige sündige Überlegung. Denn wir sind die Anderen. Wir haben uns über die Masse erhoben, haben unsere tadellos reinen Fahnen entfaltet, unsere Lackschuhe auf Hochglanz gewienert, weiße Handschuhe übergezogen. O ja, in unserer eigenen kleinen Welt erlauben wir uns alles Mögliche. Jede Tat findet ihre Rechtfertigung, ehrliche und erhabene. Eine einmalige Nummer: Zum ersten Mal stehen wir strahlend weiß da, während alles um uns herum in der Scheiße sitzt.
    Genug!
    Ein heißes Herz, saubere Hände, ein kühler Kopf … Es war doch wohl kein Zufall, dass sich die meisten Lichten während der Revolution und im Bürgerkrieg der Tscheka angedient hatten? Während diejenigen, die sich nicht andienten, zum größten Teil umkamen. Von den Dunklen, häufiger aber noch von den Händen derjenigen, die sie verteidigten. Von Menschenhänden. Von der Dummheit, Gemeinheit, Feigheit, Bigotterie und dem Neid der Menschen. Ein heißes Herz, saubere Hände. Der Kopf kann ruhig kühl bleiben. Anders geht es nicht. Mit den beiden anderen Sachen bin ich aber nicht einverstanden. Soll das Herz sauber sein und die Hände heiß. Das würde mir besser gefallen!
    »Ich will euch nicht verteidigen!«, sagte ich in die Stille des Sommermorgens hinein. »Ich will es nicht! Weder Frauen noch Kinder, noch Alte und Bettler! Niemanden! Lebt, wie es euch gefällt. Bekommt das, was ihr wert seid! Rennt vor Vampiren davon, betet Dunkle Magier an, küsst den Bock unterm Schwanz! Was ihr verdient, bekommt ihr! Wenn meine Liebe weniger zählt als euer glückliches Leben, dann wünsche ich euch kein Glück!«
    Sie können und sollen besser werden, sie sind unsere Wurzeln, unsere Zukunft, unsere Schutzbefohlenen. Die kleinen und die großen Menschen, die Hausmeister und Präsidenten, die Verbrecher und Polizisten. In ihnen glimmt das Licht, das sich zu lebensspendender Wärme entflammen oder zu todbringendem Feuer entfesseln kann.
    Ich glaube das nicht!
    Ich habe euch alle gesehen. Euch Hausmeister und Präsidenten, Banditen und Bullen. Habe gesehen, wie Mütter ihre Söhne verprügeln, Väter ihre Töchter missbrauchen. Habe gesehen, wie Söhne ihre Mütter aus dem Haus jagen, Töchter ihre Väter mit Arsen vergiften. Habe gesehen, wie ein Mann, kaum hatte er hinter seinen Gästen die Tür geschlossen, noch immer lächelnd seiner schwangeren Frau ins Gesicht schlägt. Habe gesehen, wie eine Frau, die die Tür hinter ihrem betrunkenen, sich Nachschub besorgenden Mann zuschlägt, ihn betrügt und leidenschaftlich seinen besten Freund küsst. Das ist sehr einfach – zu sehen. Man muss nur hinschauen können. Denn man lehrt uns etwas, noch bevor man uns beibringt, durchs Zwielicht zu spähen – man lehrt uns, nicht hinzuschauen.
    Aber wir tun es trotzdem.
    Sie sind schwach, haben ein kurzes Leben, haben vor allem Angst. Man darf sie nicht verachten, und es ist ein Verbrechen, sie zu hassen. Man kann sie nur lieben, bedauern und beschützen. Das ist unsere Arbeit und unsere Pflicht. Wir sind die Wache.
    Ich glaube das nicht!
    Du kannst

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