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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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an das, was du dir im Unterricht notiert hast, trau deinen Augen nicht, trau fremden Worten nicht.«
    »Wem soll ich dann glauben, Boris Ignatjewitsch?«
    »Wenn ich das wüsste, Anton, dann würde ich den Stab verlassen … und selbst in dieses Haus gehen.«
    Gleichzeitig blickten wir zum Fenster hin. Der schwarze Wirbelwind drehte sich, taumelte von einer Seite auf die andere. Ein Mensch, der auf dem Gehweg entlangging, machte plötzlich kehrt und umrundete die Spitze des Wirbels im weiten Bogen. Mir fiel auf, dass am Rand bereits ein Pfad getrampelt worden war: Die Menschen konnten das über der Erde schwelende Böse zwar nicht sehen, fühlten aber, dass es näher kam.
    »Ich werde Anton decken«, sagte Olga plötzlich. »Ihn decken und die Verbindung halten.«
    »Von außen«, stimmte der Chef zu. »Nur von außen … Anton … geh jetzt. Wir werden dich so gut wie möglich gegen jede Beobachtung abschirmen.«
    Die weiße Eule flog vom Bett auf und ließ sich auf meiner Schulter nieder.
    Mit einem letzten Blick auf meine Freunde und auf den Dunklen Magier, der aussah, als sei er eingeschlafen, ging ich aus dem Zimmer. Sofort bemerkte ich, wie jedes Geräusch in der Wohnung verstummte.
    Sie ließen mich in völliger Stille gehen, ohne jedes überflüssige Wort, ohne mir noch einmal auf die Schulter zu klopfen, ohne mir einen Rat mit auf den Weg zu geben. Denn im Grunde tat ich nichts Besonderes. Ich ging einfach sterben. Es war still.
    Irgendwie beunruhigend still, selbst für einen Moskauer Schlafbezirk zu so später Stunde. Als ob sich alle in den Häusern verschanzt, das Licht gelöscht, sich die Decke über den Kopf gezogen hätten und schwiegen. Schwiegen – nicht etwa schliefen. Bloß in den Fenstern flimmerten noch blaurote Flecken, denn überall liefen die Fernseher. Diese Angewohnheit, bei Angst oder Schwermut den Fernseher einzuschalten und sich alles Mögliche anzugucken, vom Teleshopping bis zu den Nachrichten. Die Menschen sehen die Zwielicht-Welt nicht. Doch sie können ihre Nähe spüren.
    »Olga, was sagst du zu diesem Strudel?«, fragte ich.
    »Unüberwindlich.«
    Kurz und knapp.
    Ich stand vor dem Hauseingang und betrachtete den geschmeidigen, an einen Elefantenrüssel erinnernden Stängel des Wirbels. Noch wollte ich nicht hineingehen.
    »Wann … bei welcher Größe könntest du den Strudel zermalmen?«
    Olga dachte nach. »Bei einer Höhe von fünf Metern. Da besteht noch eine Chance. Bei drei Metern klappt es bestimmt.«
    »Und die Frau wird dabei gerettet?«
    »Vielleicht.«
    Etwas ließ mir keine Ruhe. In dieser unnormalen Stille, wo selbst die Autos den verdammten Bezirk umfuhren, waren immer noch einige Geräusche zu hören …
    Dann ging es mir auf. Die Hunde winselten. In allen Wohnungen, in allen Häusern um uns herum beklagten die unglücklichen Tiere leise, erbärmlich und hilflos ihre Herren. Sie sahen das nahende Inferno.
    »Olga, die Informationen über die Frau. Sämtliche.«
    »Swetlana Nasarowa. Fünfundzwanzig Jahre. Internistin, arbeitet in der Poliklinik Nr. 17. Keine Beobachtungen seitens der Nachtwache. Keine Beobachtungen seitens der Tagwache. Magische Fähigkeiten wurden nicht entdeckt. Die Eltern und der jüngere Bruder leben in Bratejewo, der Kontakt zu ihnen ist unregelmäßig, hauptsächlich telefonisch. Vier Freundinnen, die überprüft werden und bislang sauber sind. Normale Beziehungen zu ihrem Umfeld, heftige Antipathien wurden nicht festgestellt.«
    »Eine Ärztin«, sagte ich nachdenklich. »Olga, das ist vielleicht ein Spur. Irgendein Alter oder eine Alte … die mit der Behandlung unzufrieden sind. In den letzten Lebensjahren brechen sich gewöhnlich latente magische Fähigkeiten Bahn …«
    »Das wird überprüft«, erwiderte Olga. »Bislang hat sich da nichts ergeben.«
    War ja auch zu schön gewesen. Es war dumm, sich in Mutmaßungen zu ergehen; einen halben Tag lang hatten sich Leute mit der Frau befasst, die klüger waren als ich.
    »Was noch?«
    »Blutgruppe A. Keine ernsthaften Erkrankungen, mitunter leichte Herzschmerzen. Erster sexueller Kontakt mit siebzehn, mit einem Altersgenossen, aus Neugier. Viermonatige Ehe, seit zwei Jahren geschieden, freundschaftliche Beziehungen zum Ex-Mann. Keine Kinder.«
    »Fähigkeiten des Mannes?«
    »Gar keine. Desgleichen bei seiner neuen Frau. Sie wurden zuerst überprüft.«
    »Feinde?«
    »Zwei neidische Kolleginnen. Zwei abgewiesene Verehrer, ebenfalls Kollegen. Ein Schulkamerad hat vor einem halben Jahr

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