10 - Das Kloster Der Toten Seelen
völlig verbrannt. Nur noch ein paar Reste konnte man ganz oben auf dem glühenden Holzstapel erkennen.
»Menschenopfer?« fragte Eadulf mit einem zynischen Grinsen.
Fidelma nahm die Frage ernst. »In alten Zeiten herrschte der Brauch, dem keltischen Gott Taranis, dem Herrn über Blitz und Donner, in einem hölzernen Gefäß Opfergaben darzubringen. Manche sagen, daß das Gefäß eine hölzerne Menschenskulptur war, die den Überbringer von Botschaften an die Götter symbolisierte.«
Doch Eadulf schien ihr nicht recht zuzuhören; er blickte sich unter den Leuten am Feuer um.
»Was ist?« fragte Fidelma.
»Ich will mal sehen, ob ich nicht Iorwerth oder unseren Freund Iestyn in der Menge entdecke«, entgegnete er. »Ich erwarte eigentlich, daß sie bei einem solchen Fest zugegen sind.«
Fidelma nickte zustimmend. Da schaute sie auf einmal in das grinsende Gesicht Iestyns, der hinter ihr gestanden hatte.
»Immer noch nicht fort, Gwyddel?« spottete er.
»Wie du sehen kannst«, erwiderte sie ruhig. »Doch wir hoffen, morgen aufzubrechen.«
»Morgen? Ihr wollt morgen los?« Seine Stimme klang recht herausfordernd.
Fidelma ließ ihn einfach stehen und zog Eadulf mit sich fort. Der Bauer schaute ihnen mißtrauisch hinterher.
Als sie außer Hörweite waren, fragte Eadulf besorgt: »Warum hast du ihm das gesagt? Du weißt doch, daß er nichts Eiligeres zu tun haben wird, als es seinem Freund Clydog mitzuteilen. Sie werden uns unterwegs abfangen.«
»Ich wollte nur etwas Öl ins Feuer gießen«, antwortete sie gelassen. »Morgen werden wir die Angelegenheit zum Abschluß bringen. Ich hoffe, daß dein Vertrauen in Dewi nicht enttäuscht wird. Eigentlich hätte er heute hier sein müssen, aber vielleicht kommt er ja morgen.«
»Ich wüßte nicht, warum uns Dewis Ankunft jetzt noch helfen sollte. Ich glaube nicht, daß Gwlyddiens Autorität hier viel gilt. Und Clydog hat viele kampferfahrene Männer zu seiner Verfügung.«
»Das ist wohl wahr«, stimmte ihm Fidelma zu. »Ich setze nur darauf, daß Clydog nicht versuchen wird …«
Auf einmal merkten sie, daß es stiller um sie herum geworden war. Die Musik verstummte nach kurzem Zögern völlig. Selbst die Schreie der Kinder erstickten. Sie hörten die scharfen und befehlenden Rufe von Männern. Im Abseits bewegten sich Schatten. Reiter auf Pferden, die brennende Fackeln und blanke Schwerter hielten.
Fidelma wandte sich um. Beim Feuerschein entdeckte sie auf einem Pferd eine vertraute Gestalt. »Clydog!« zischte sie.
Sie packte Eadulf am Ärmel und tauchte zwischen den nächsten Steinhütten im Dunkel unter. Dort gönnten sie sich eine kurze Verschnaufpause.
»Das habe ich nicht erwartet«, murmelte Fidelma. »Ich hätte gedacht, daß Clydog erst auftauchen würde, wenn man Gwlyddien dazu gebracht hat, gegen die Hwicce in den Kampf zu ziehen.«
»Vielleicht ist Gwlyddien schon längst auf die Intrige hereingefallen«, meinte Eadulf. »Doch was machen wir nun? Iestyn wird ihm erzählen, daß wir uns hier aufhalten. Ohne gesehen zu werden, kommen wir nicht einmal an unsere Pferde in Gwndas Stall heran.«
Fidelma zeigte auf den Wald hinter dem Ort. »Das ist die einzige Möglichkeit, Clydog und seiner Bande zu entgehen. Komm schon.«
Sie lösten sich rasch und leise aus dem Schatten der Häuser und schlüpften unter die Bäume. Es war schwierig, sich einen Weg durchs Unterholz zu bahnen, doch Fidelma schien auf einen Pfad gestoßen zu sein, den die Hirsche benutzten, und so kamen sie nun gut voran.
»Wollen wir nur hoffen, daß an dem alten Aberglauben nichts dran ist«, murmelte Eadulf, der in der Finsternis hinter ihr herstolperte.
»Was meinst du damit?«
»Wir haben Menschen vor den Richter gebracht, von denen viele nun im Jenseits weilen. Gehen wir mal davon aus, daß diese rachsüchtigen Seelen keine Möglichkeit haben, in dieser Nacht zurückzukehren und an uns Vergeltung zu üben!«
Fidelma machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Sie ärgerte sich immer noch über sich selbst, daß sie das Ganze nicht vorhergesehen hatte. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, daß Clydog sich so sicher fühlen könnte, um in Llanwnda einzureiten und die Herrschaft an sich zu reißen.
»Wann werden sie wohl unsere Flucht in den Wald bemerken?« stöhnte Eadulf.
Fidelma war so unvermittelt stehengeblieben, daß Eadulf fast in sie hineingerannt wäre.
»Was ist …?« fing er an.
»Wasser, genau vor uns«, erwiderte sie. »Das muß der Fluß sein, der an
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