10 - Das Kloster Der Toten Seelen
sächsische Schiffe überfallen auch unsere Küsten.«
»Was erwartest du genau von uns?« fragte Fidelma rasch, um so Eadulfs Verlegenheit wegen der Erwähnung der sächsischen Angriffe zu überspielen. »Kriegerische Auseinandersetzungen sind nicht gerade unsere Stärke.«
»Ich glaube, daß diese Angelegenheit rein gar nichts mit Ceredigion oder mit den Überfällen von Artglys an unseren Grenzen zu tun hat …«, meldete sich Abt Tryffin zu Wort. Er blickte zu Cathen.
Fidelma bemerkte, daß Cathen am liebsten einen Disput eröffnet hätte. Schnell sagte sie: »Llanpadern liegt nördlich von hier? Wie weit entfernt ist es von der Grenze zum Königreich von Ceredigion?«
»Mindestens zwanzig Meilen oder mehr.«
»Ein Überfall von so weit her in euer Gebiet hinein? Ein Feind kann eine so lange Strecke kaum unbemerkt überwinden«, gab Fidelma zu bedenken.
»Vielleicht hat Artglys von See aus angegriffen? Er könnte mit seinen Leuten nur ein paar Meilen von Llanpadern entfernt an Land gegangen sein«, erwiderte Cathen mit Nachdruck.
»Ja, könnte, aber woher wissen wir das?« stellte Fidelma nachdenklich fest.
Der Abt machte den Eindruck, als wolle er etwas sagen, sei sich aber nicht sicher, ob er seinem Prinzen widersprechen sollte. Fidelma bemerkte das.
»Ich bin der festen Überzeugung, daß deine Meinung zu dieser Sache dankbar aufgenommen wird, Abt Tryffin. Wie also denkst du darüber?«
Der Abt schien nun all seinen Mut zusammenzunehmen. »Das Kloster liegt am Fuße der westlichen Hänge von Carn Gelli. Wenn die Krieger von Ceredigion das Kloster vom Meer aus angegriffen haben, dann hätten sie nur an wenigen Stellen der Küste anlegen können. Wo auch immer sie an Land gegangen wären, stets hätten sie noch einen Fußmarsch von drei Meilen zum Kloster vor sich gehabt. An ihrem Weg liegen zwei Ortschaften, dort hätte man eine feindliche Truppe bemerkt und sofort Alarm geschlagen. Pater Clidro und seine Gemeinschaft wären so vor den Angreifern gewarnt gewesen, noch ehe diese das Kloster erreicht hätten. Bruder Cyngar hat uns beschrieben, wie ordentlich die Klostergebäude hinterlassen wurden. Ich kann deshalb nicht glauben, daß Krieger dort waren, die ihre sich zur Wehr setzenden Gefangenen weggeschleppt haben. Es gibt offenbar keine Anzeichen für einen Angriff, keine Leichen, nichts, das auf Gewalt hindeutet.«
Cathen lachte höhnisch, bis sein Vater ihm mit einer Handbewegung zu schweigen bedeutete.
Fidelma wartete einen Moment, doch als der König zu all dem schwieg, fragte sie den Abt: »Wie erklärst du dir das Verschwinden der Mönche?«
Abt Tryffins Blick wirkte gequält. »Christus ist mein Zeuge, Schwester, mir fällt nichts ein, das diesen Vorfall auf der Grundlage von Naturgesetzen deuten kann.«
Cathen johlte verächtlich. »Hexerei! Willst du damit sagen, daß alles auf Magie hinausläuft? Das gefällt mir nicht, Abt Tryffin. Es gibt keine übernatürlichen Kräfte. Du bist genauso auf dem Holzweg wie Bruder Cyngar! Die Kräfte des Bösen existieren nicht.«
»Dem würde ich nicht zustimmen.«
Alle wandten sich überrascht Fidelma zu, die leise ihren Einwand hervorgebracht hatte.
»Das Übernatürliche ist das Natürliche, was wir noch nicht ganz begreifen können. Und wie verhält es sich mit den Mysterien unseres Glaubens? Kommen sie uns nicht auch übernatürlich vor? Wenn wir meinen, daß es das Gute gibt, müssen wir auch das Böse akzeptieren.«
»Es gibt von Gott gestiftete Mysterien!« warf Cathen rechtfertigend ein.
»Und bist du Richter darüber, was von Gott gefügt ist und was nicht?« sagte Fidelma ruhig.
Cathen öffnete den Mund, als wolle er ihr widersprechen, doch dann machte er ihn wieder zu, da er keine Antwort parat hatte. Mit gerötetem Gesicht sagte er steif: »Verzeiht, ich muß mich wieder meinen Verpflichtungen widmen.« Damit verließ er den Raum.
Gwlyddien rutschte unruhig auf seinem Lehnstuhl hin und her, als die Tür zufiel.
»Ich bitte um Entschuldigung, offensichtlich habe ich Prinz Cathen verstimmt«, sagte Fidelma, auch wenn ihr Tonfall alles andere als entschuldigend war.
»Er ist mein jüngster Sohn und etwas hitzig«, murmelte der König. »Er wollte euch gegenüber nicht respektlos sein.«
»Dergleichen haben wir auch nicht angenommen«, erwiderte Fidelma. »Dieser rätselhafte Vorfall hat uns jedoch neugierig gemacht. Sicher werden wir erst in ein paar Tagen ein Schiff für unsere Weiterreise nach Canterbury finden, da könnten wir
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