10 - Das Kloster Der Toten Seelen
Waliser. »Ich habe mein Noviziat mit Nonnen aus dem Königreich von Gwynedd verbracht und so manches von ihnen gelernt. Doch was eure Rechtssprache betrifft, werde ich einiges nicht verstehen, auch wenn ich mich bemühe.«
Eadulf wurde nicht weiter gefragt, ob er Kymrisch verstand. So behielt er für sich, daß er die Sprache zu einem gewissen Grad beherrschte.
»Dann gibt es für eure Arbeit ja keine weiteren Hindernisse«, sagte Abt Tryffin erfreut. »Bruder Meurig wird euch weiterhelfen, wenn ihr Schwierigkeiten habt.«
»Dafür sind wir dir dankbar«, entgegnete Fidelma.
»Dann wollen wir speisen gehen.«
K APITEL 4
Es war kalt, aber es lag kein Reif auf dem Boden, als die drei Pferde durch die Tore der Abtei Dewi Sant trabten. Sie liefen hintereinander, angeführt von einer großen grauen Stute. Bruder Meurig ritt in zügigem Tempo voran, ihm folgten Schwester Fidelma und Bruder Eadulf auf feurigen kurzbeinigen Pferden. Es waren alles kräftige Tiere. Gegen die eisige Morgenkälte hatte sich Meurig einen weiten Umhang umgelegt, fast von gleicher Farbe wie sein Pferd. Auch seine Begleiter waren in dicke Wollumhänge gehüllt.
Abt Tryffin hatte zuvor einen Mann in Bruder Rhodris Hospiz in Porth Clais geschickt, um die Reisetaschen von Fidelma und Eadulf zu holen. Sie hatten unterdessen Gelegenheit gehabt, Bruder Cyngar zu fragen, was er in Llanpadern angetroffen hatte, so daß sie, da Bruder Meurig beim ersten Tageslicht mit ihnen aufbrechen wollte, inzwischen von Bruder Cyngar alle Informationen erhalten hatten.
Fidelma und Eadulf waren beide beeindruckt von der ernsten und umsichtigen Art Bruder Cyngars. Zwar erfuhren sie von ihm kaum mehr, als sie bereits von Abt Tryffin wußten. Aber Bruder Cyngar hatte ein ausgesprochen gutes Auge für Details.
Er war weit davon entfernt, den Vorfall auf Hexerei oder das Böse an sich zurückzuführen, aber er akzeptierte den Gedanken, daß etwas, das nicht auf natürliche Weise zu erklären war, eher übernatürlichen Kräften zugeschrieben werden mußte.
Nachdem sie sich von Bruder Cyngar verabschiedet hatten, waren Fidelma und Eadulf zum Skriptorium der Abtei geführt worden, wo Bruder Meurig gerade etwas in den dort aufbewahrten Rechtsschriften nachschlug. Bruder Meurig war ein großer Mann, der selbst Fidelma überragte, die schon als überdurchschnittlich hochgewachsen galt. Er war hager und hohlwangig und hatte hohe Wangenknochen. Seine Haare waren leicht angegraut, die dunklen Augen lagen tief, das rechte Auge schielte ein wenig, wodurch er finster wirkte. Doch seine düstere Erscheinung stand ganz im Gegensatz zu der warmherzigen Art, in der er sie begrüßte.
Er redete Fidelma in ihrer Muttersprache an und wandte sich dann in fließendem Angelsächsisch an Eadulf.
»Wie kommt es, daß du des Angelsächsischen mächtig bist?« erkundigte sich Eadulf.
»Ich war mehrere Jahre lang Gefangener in Mercia.« Bruder Meurig zeigte auf eine Narbe, die ihm quer über den Hals lief. »Hier seht ihr das Zeichen des sächsischen Sklavenkragens. Das liegt nun schon zehn Jahre zurück; Penda herrschte damals über das Land. Ein übler Mann. Penda wurde als Heide geboren und starb als Heide, er diente zu allen Zeiten seinem Gott Wotan.«
»Bist du geflohen?« fragte Eadulf und bemühte sich, nicht verlegen zu erscheinen, auch wenn Bruder Meurigs Worte ohne Groll waren.
»Nachdem Oswy von Northumbria Penda besiegt und ihn bei Winwaed Field im Jahre 654 getötet hatte und das Königreich Mercia daraufhin zerschlagen wurde, kamen viele seiner Sklaven frei, insbesondere christliche Mönche wie ich, und sie durften in ihre Heimatländer zurückkehren.«
»Jetzt bist du ein barnwr – ein Richter an den Gerichten von Dyfed«, ergänzte Fidelma.
Bruder Meurig lächelte zufrieden. »So wie du, Schwester Fidelma«, sagte er. »Eine dálaigh ist das gleiche wie ein barnwr . Wir haben viel gemeinsam.«
»Ich habe gehört, daß eine große Anzahl eurer Gesetze den Gesetzen der Brehons von Éireann ähneln. Ich bin sicher, daß ich noch eine Menge von dir lernen kann, Bruder Meurig.«
»Dein Ruf eilt dir voraus, Schwester. Ich bezweifle, daß ich dir noch viel beibringen kann«, stellte der barnwr freundlich klar.
»Hat man dir mitgeteilt, was in Llanpadern geschehen ist?« fragte Eadulf.
Bruder Meurig nickte. »Doch man hat mir diesen Fall nicht angetragen.«
»Hast du eine Meinung dazu?« drängte ihn Eadulf.
»Eine Meinung?« Bruder Meurig rümpfte abschätzig die
Weitere Kostenlose Bücher