10 - Das Kloster Der Toten Seelen
band schon die Pferde los. Dann ritten sie, Eadulf voran, in raschem Tempo in entgegengesetzter Richtung zu Clydog und seinen Männern davon.
Es war ziemlich dunkel, und im Wald wirkte alles noch finsterer. Plötzlich fuhr ein Windstoß durch die Baumkronen. Fidelma blickte nach oben.
»Es wird bald regnen, Eadulf«, rief sie. »Dieser Wind ist der Vorbote eines Gewitters, das garantiere ich.«
»Das sollte uns eher helfen, als uns zu behindern«, erwiderte Eadulf. »Zumindest wird der Regen unsere Spuren verwischen.«
Sie konnte nicht einschätzen, wie lange sie schon geritten waren, aber es mußte ein beträchtliches Stück Wegs sein. Ein Blitz zuckte am Himmel auf, ein Donnergrollen folgte. Die Pferde scheuten und wieherten. Ein kalter, eisiger Regen setzte ein, der rasch an Stärke zunahm.
»So werden wir nicht weit kommen«, rief Fidelma. »Hast du eine Ahnung, wo wir sein könnten?«
»Die Sterne sind nicht zu sehen. Es sind zu viele Wolken am Himmel«, erwiderte Eadulf. »Doch ich glaube, daß wir uns nach Westen oder Südwesten bewegen. Genau südlich von Llanpadern lag der Wald.«
Seine Worte wurden von einem weiteren Blitz begleitet, und wieder folgte unmittelbar darauf Donnergepolter.
»Wir müssen irgendeinen Unterschlupf finden«, erklärte Eadulf. »Der Regen ist viel zu stark.«
»Aber jetzt hinterlassen wir keine Spuren«, entgegnete Fidelma. »Am besten wir steigen ab und führen die Pferde. Donner und Blitz machen sie ohnehin nervös.«
Widerstrebend gestand sich Eadulf ein, daß sie recht hatte. Er wußte, daß Fidelma eine ausgezeichnete Reiterin war.
Von Kindesbeinen an war sie mit Pferden vertraut. Er war es mehr gewohnt, sich zu Fuß fortzubewegen. Sie saßen ab und führten die Pferde am Zügel. Der prasselnde Regen verwandelte den Boden unter ihren Füßen in Schlamm.
Nach einem grellen Blitz blieb Eadulf stehen und deutete auf einen kleinen Pfad, der vom Hauptweg abging und eben kurz sichtbar geworden war.
»Mir war so, als hätte ich da eine Felswand gesehen. Dort muß es einen Überhang geben, der uns Schutz bieten könnte. Das wäre besser als gar nichts.« Er hatte mit lauter Stimme gesprochen, um den sintflutartigen Regen und das Gewittergrollen zu übertönen.
Fidelma nickte nur.
»Warte hier!« rief ihr Eadulf zu. »Ich werde prüfen, ob es dort sicher ist.«
Schon war er in der Dunkelheit verschwunden. Fidelma stand bei ihrem unruhigen Pferd, sprach ihm gut zu und streichelte besänftigend seine Nüstern.
Dann tauchte Eadulf wieder auf. »Alles in Ordnung«, rief er. »Du kannst kommen. Der Überhang führt in eine Höhle, wo wir mit den Pferden Unterschlupf finden können. Ich habe meins schon dort gelassen. Die Höhle ist geräumig und trocken.«
Sie folgte ihm und führte ihr Pferd vorsichtig über den schlammigen Pfad unter tief herabhängenden Zweigen hindurch.
Obwohl es kaum möglich schien, nahm der Regen noch an Intensität zu. Das Gewitter stand über dem Wald, als hätte sie ein zorniger Gewittergott aufs Korn genommen. Der schleuderte seine grellen Blitze vom Himmel und ließ ihnen explosionsartige Donnerschläge folgen. Ein Blitz hatte offenbar ganz in der Nähe eingeschlagen, denn sie sahen, wie auf einem Hügel ein Feuer ausbrach, das kurze Zeit darauf die Sturzbäche des Regens wieder gelöscht hatten.
Fidelma kam auf einmal der Gedanke, daß der Gewittergott der Sachsen, Thunor, wohl Rache an ihnen nehmen wollte. Es war gar nicht lange her, daß auch ihr Volk die Gewitterunbilden als Zeichen der Macht der Götter und Göttinnen betrachtet hatte. Sie fragte sich, warum der Name des sächsischen Gewittergottes dem seines irischen Kollegen Torann und dem britischen Gott Taranis so ähnlich war.
Der Überhang war recht breit. Wie Eadulf gesagt hatte, befand sich unter dem Felsvorsprung eine Höhle. Eadulf hatte seinem Pferd mit den Zügeln die Vorderfüße gefesselt, damit es nicht davonlief. Eine Möglichkeit, die Pferde anzubinden, gab es in der Höhle nicht. Fidelma lächelte vor sich hin, sie freute sich über seine Weitsicht. Er wird schon noch ein guter Reiter werden, dachte sie. Rasch tat sie es ihm nach.
Die Höhle wirkte groß und einigermaßen trocken, doch sie hatten beide Hunger und froren.
»Vermutlich werden wir hier kein Feuer anbekommen, oder?« fragte sie.
»Wir haben nichts Trockenes zum Anzünden und auch kein Holz«, erwiderte Eadulf, der als schattenhafte Gestalt am Höhleneingang stand und nur von den Blitzen erhellt wurde.
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